Flussgeflüster #1

Es gibt hier im Norden 3 Flüsse, die der Region Leben schenken. Jeden Tag gehe ich am Nachmittag zu „Hatzbani“ und tanke Energie. Er schlängelt sich durch einen Wald aus Bambus und anderen Bäumen, ist kalt, klar und reißt einen in Abenteuer mit.

Gleich am 2. Abend lerne ich Noam mit seinem Hund Osnap (meine Eselsbrücke: Oh schnapp!) kennen. Noams Namen kann ich mir lange nicht merken und anscheinend hat er das schon oft mit deutschsprachigen Menschen erlebt. Ähnlich mit der Bezeichnung seiner Arbeit. Er kümmert sich um Eregation (ich hörte ganz deutlich Erektion) – also Tröpfchenbewässerung. Mit etwas Mühen erinnere ich mich an unseren Erdkundeunterricht der 7. Klasse zurück. Jetzt fällt mir erst auf, wie unwichtig das Thema Wasser-Management für mich bisher war und welch entscheidende Rolle es hier spielt. Beinah alle Bäume und Pflanzen, die es in Israel gibt, sind künstlich angelegt und werden mit intellgenten Bewässerungsmethoden versorgt und am Leben gehalten.

Noam wird mein erster Freund. Ich weiß, wo er am Fluss sitzt und wann. Er lädt mich ein zum Kochen oder Biertrinken im Kibutz. Ich versuche die kryptischen Buchstaben seiner Nachrichten zu entziffern und nehme mir ein paar Minuten für die 1-Satz-Antworten. Er wirkt wie ein lieber, kindlicher, sehr sportlicher Mensch, der gerne erzählt von seiner Zeit in der Wüste, als sich die Welt für ihn um 180 Grad gedreht hat. Die Stille und die Einsamkeit, die Härte der Hitze und die Arbeit im Freien haben ihm einen neuen Blick geschenkt, mit dem er mir heute begegnet. Er spricht von gesellschaftlich hingenommenen Lügen, von den vermeindlichen Friedensverträgen, den wirtschaftlichen Hintergründen der Kriege und der Rolle Israels im Testen der Sicherheitssysteme.
Es tut mir gut, von seinen Ansichten zu hören, die ich so in den Nachrichten nie mtibekommen würde. Mit Noam entsteht ein Gefühl von Zuhause, von einem selbstständigen jungen energetischen Leben, außerhalb der Routine der Familie. Er erzählt mir von seiner Idee, eine Fahrradtour durch Italien machen, weil es dort Fahrradwege gibt. Hier kann er das nur einmal im Jahr machen, an Yom Kippur, wenn die Straßen leer sind, weil das Autofahren verboten ist. Ich freue mich richtig, ihm irgendwie bei der Planung helfen zu können und ein Stück von seiner Helfsbereitschaft zurückgeben zu können. Gemeinsam fangen wir an zu träumen von einer Gemeinschaft in Südfrankreich, wo wir vielleicht irgendwann mal leben…