Wenn ich nicht am Reisen wär

Ich frage mich, wie ich diese Orte wahrnehmen würde, hätte ich täglich Verpflichtungen und müsste für mein Geld kämpfen. Könnte ich es genauso genießen? Würde ich mich genauso frei fühlen?
Seit 10 Jahren (mit dem Beginn der Regierung von Netanyahu) wird es hier
finanziell immer schwieriger. Alles Land ist verkauft und die Mieten steigen. Das Leben ist einfach fucking teuer.

In meiner Unbeschwertheit und finanziellen Unabhängigkeit kann ich das Land genießen, wie ich es selten irgendwo erlebt habe. Ich begegne lauter Menschen, die sich diesem Schicksal widersetzen und sich alternative Lebensweisen aufbauen. Sie suchen den Kontakt zur Natur und inspririeren mich mit ihrem Wissen über Pflanzen und natürlichen Baumethoden, ihren Ideen über Ernährung und Umgang mit dem Gegenüber. Sie sind offen und ehrlich in ihrer Art zu kommunizieren und zeigen Mut, einen Weg zu gehen, der ihren Bedürfnissen entspricht.

Immer wenn ich in die Stadt nach Ramat Gan fahre bin ich kurz irritiert. Alles scheint viel schwieriger, liebloser. Keine der Wohnungen, die ich bis jetzt besichtigt hatte, spricht mich wirklich an. Nirgends fühle ich mich wirklich wohl. Und das Verkehrssystem macht mich wahnsinnig.

Ich bin wieder einmal auf Wohnungssuche. Bepackt mit meinem Rucksack, weiß nicht, wo ich die Nacht schlafen soll. Ich bin schon stundenlang unterwegs mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weil ich immer wieder an der falschen Haltestelle zu stehen scheine oder mir der Bus vor der Nase weg fährt. Jetzt habe ich endlich die richtige Haltestelle gefunden. Es ist heiß und ich bin einfach nur müde. Der Bus kommt und ich bin so überrascht über sein Auftauchen, dass ich total unvorbereitet mein Zeug in meine Arme stopfe und mir alles aus den Händen fällt. Während ich dabei bin, die Dinge wieder aufzuklauben, seufzt der Bus und fährt er weiter. Nochmal 20 min zu warten. Ich kann nicht mehr. Wieso ist das so schwierig?
Ich denke darüber nach, dem Typen mit der Hundewohnung zuzusagen. Es fühlt sich nicht richtig an, aber es scheint keine Alternative zu geben. Ich hole mein Handy raus und stecke es wieder weg. Jetzt gehe ich erstmal Hummus essen, Tagebuch schreiben, mein Handy aufladen und Energie tanken. Und dann sehen wir weiter.

Am späten Nachmittag besuche ich eine weitere potentielle Mitbewohnerin (40 Jahre alt). Es ist nett und irgendwie gleich sehr normal. Die Wohnung ist mit dunklen Möbeln bestückt, der Boden aus kaltem Stein. Kaum etwas Persönliches steht rum. Schnell ist klar, dass männlicher Besuch nicht gerne gesehen ist. Die Wohnung ist nur für Frauen. Und wenn ich frage, was für sie ein respektvolles Zusammenleben ist, sieht sie keinen Grund das weiter zu erläutern. Sie meint, wir wüssten doch alle, was respektvoll ist und was nicht…
Trotzdem verabschiede ich mich zufrieden. Auch sie wirkt wie eine super nette, offene und warme Person, die mich mit einer kräftigen Umarmung verabschiedet.
Also mache ich mich auf den Weg zu einer letzten Besichtigung. Als mir die Wohnungstür geöffnet wird und mein Blick auf die total schrägen Schallplatten-Recycling-Bilder an der Wand werfe, ist mir sofort klar, dass ich hier einziehen werde. Ich bin so froh, durchgehalten zu haben um wirklich das zu finden, wo ich mich wohl fühle.