Poly-Rhythmik

Aus dem Busfenster sehe ich ein neues Grün. Es hat einen gelblichen Neon-Glanz und lässt die Wiesen strahlen. Mit den Kilometern verschwindet dieses Grün und der Sand breitet sich aus. Zwischendrin taucht dunkel-grünes Gestrüpp auf.

Ich komme an der Bushaltestelle an, die in der Nähe von dem Ort sein soll, wo das buddhistische Friedenstreffen stattfindet. Die Landkarte zeigt eine kurvige Linie ins nichts. Ich atme tief durch und mache mich auf den Weg. Der einzige Landrover, der an mir vorbeifährt, nimmt mich mit. An uns ziehen gelb-sandige Felsen vorbei, im Hintergrund sind lila-farbene Bergketten zu sehen. Ich bin bezaubert.
Ich werde zu dem Hauptzelt geführt und sehe Ofris Gitarre am Schuhregal lehnen. Ich stelle meine Geige dazu, lege mein Gepäck ab und ziehe meine Schuhe aus. Drinnen sitzen Menschen im Raum verteilt, auf der Bühne ein paar Sprecher, daneben ein Übersetzer für die anwesenden Palestinenser. Ich entdecke meine Gruppe, setze mich zu ihnen, blicke in müde Gesichter, bekomme eine Reihe warmer Umarmungen und richte meine Aufmerksamkeit auf das Panel. Ich bin einen Tag später da als der Rest und platze damit in der Mitte rein. Eine Gruppe von Frauen erzählt, wie sie versuchen, ein Stück Frieden in die Welt zu bringen. Danach kommt die Meisterin auf die Bühne. Ihre Botschaft: Inner Frieden ist der Weg zum Frieden in der Welt. Keine Wut, kein Hass, keine Kritik. Nur Liebe. Und das geht nur zu erreichen, wenn man bei einem Retreat teilnimmt und anfängt zu meditieren. Schnell spüre ich Widerstand in mir aufkommen. Dem dauerhaften Lächeln auf dem Gesicht der Sprecherin, die wie eine Königin angehimmelt wird, glaube ich nicht. Einfach eine allgemein gültige Liebe in sich kreieren klingt zu einfach. Was ist mit der Trauer, der Wut, der Enttäuschung, des Unverständnisses, der Zweifel? Die gibt es doch auch..? Ich habe den Drang mich über meine Kritik und meinen Zweifel mitzuteilen, doch ich finde keine Gleichgesinnten.

Als plötzlich ein Palestinenser im Publikum aufsteht und seine Kritik äußert, ändert sich die Stimmung im Saal und ich spüre Erleichterung. Endlich sind nicht alle einer Meinung. Endlich wird die Diskussion ehrlich, unkontrolliert und pur, mit Raum für Emotion und Meinungsunterschied. Doch das hielt nicht lange an, denn so ein Verhalten ist nicht erwünscht… Die Meisterin ergriff das Wort um die Diskussion zu unterbinden…

Ich versuche meine Aufmerksamkeit auf die Musiker zu richten, die den Abend ausklingen lassen und tanze mit dem Mädchen aus Ramallah. Von allen Richtungen dirigieren sie Kameras auf uns.
Am späten Abend, in dem kleinen Häuschen, in dem wir unterkommen, frage ich meine Freunde, was sie von den Vorträgen mitgenommen haben. Vielleicht kann ich durch sie, dem Inhalt des Seminars näher kommen, durch ihre Erfahrungswelt. Ich versuche ihren wohlgesonnenen Blick nachzuvollziehen und kann mich etwas beruhigen.

Am nächsten Tag genieße ich das Schweigen beim Frühstückstisch. Ich entscheide mich, einfach meinem eigenen Rhythmus zu folgen und erstmal die Umgebung kennenzulernen, bevor ich bei irgendwelchen Programmpunkten teilnehme. Ich packe meinen Geigenkoffer auf den Rücken und klettere barfuß die steinige Sanddüne hinauf. Durch den Regen hat sich eine harte Schicht auf dem sonst so weichen Sand gebildet. Ich bin dankbar für die Konzentration, die dieses Abenteuer benötigt. Oben angekommen setze ich mich hin, mit Blick auf das Gelände und spiele. Menschen laufen unten vorbei und bleiben kurz stehen, machen Fotos, winken. Obwohl ich so weit weg bin, kann mich jeder hören.
Ich folge dem jung-aussehenden Mann den einfachen Weg hinunter, den ich zuvor übersehen hatte. Vor dem Hauptzelt sind die Musiker (Juden und Palästinenser) von gestern und wir beschließen, einen Schattenplatz zu finden und zu spielen. Auch sie haben keine Lust auf das Gerede: „Alle reden sie von Frieden, anstatt sich wirklich zu begegnen.“

Beim Mittagessen weiß ich nicht wohin mit mir. Alle und niemand spricht mich an, ich setze mich zum einen Tisch und will zum anderen. Ich kann mich der Dynamik der Gruppe nach anschließen, Unser Rhythmus ist ein anderer. Irgendwann setze ich einfach irgendwo dazu und warte ab. Ich gehe in die Küche und spüle ab und spüle etwas länger, einfach nur um eine Aufgabe zu haben. Ich versuche mich im Hauptzelt einzufinden, doch mein Gefühl sträubt sich. Ein wenig entwernt sehe ich meine Freunde in einem Kreis sitzen und Musik machen. Ein paar Palestinänser sind dabei und singen mit. Ich setze mich dazu und versuche ihren Rhythmus zu verstehen. Langsam merke ich, wie sich unser Puls angleicht und ich ankomme. Dazugehöre.

Ich möchte nicht euren Weg gehen, sondern den meinen. Ich will mir die Möglichkeit geben, meine eigene Wahrheit zu finden. Eine von Millionen.