Im Schutz der Stille

Die lauten Bässe der Natur-Party drangen so dicht an meine Ohren, also gäb es keine Möglichkeit ihnen zu entfliehen. Ich schwamm den See hinaus, versuchte mich auf die Slagline zu konzentrieren und letztendlich so hoch den Berg hinauf zu steigen, dass ich nichts mehr hörte. Ich wollte einfach nur Stille. Um 6 Uhr Abends hielt ich es nicht mehr aus, verabschiedete mich von meinen Freunden und ging einfach los, gen Norden, in der Hoffnung zurück zu dem Haus auf dem Berg zu finden, das mir Raum gibt, wieder zu mir zu finden. Ein Reise-Ziel ohne Namen, kein Akku und keine Landkarte; all das war mir lieber als der dröhnende Klang in meinem Ohren. 5 Tramps, eine ausgiebe Rechtfertigung für mein Desinteresse an dem Mann neben mir, und ca. 2 Stunden später, kam ich zu dem Ort, wo die gepflasterte Straße auf den Steinweg zum Berg hinauf trifft. Auch der Regen hatte endlich nachgelassen und mit der seltenen Zigarette in meiner Hand, machte ich mich auf den Weg bergaufwärst. Ich war einfach nur froh, draußen zu sein, und um mich herum: Stille. Es machte mir auch nur geringfügig etwas aus, dass ich eigentlich keine Ahnung hatte, wo es lang ging. Als ich ein paar Nächte zuvor hier angekommen war, sind wir den Weg durchs Dunkle mit dem Auto gefahren, daher versuchte ich mich an die paar Bildfetzen, beleuchtet von den Scheinwerfern, und das von Steinen und Gullis erzeugte Ruckeln zu erinnern. Ein kleiner Kompass in mir erahnte die Richtung und ich konnte durch das Licht des Vollmondes die Formgebung der Landschaft deuten. Immer einfach weiter dachte ich, im schlimmsten Fall gibt es dort oben ein Haus mit Licht und Menschen, die mir weiterhelfen können. Nach ein paar hundert Metern meinte ich zu meiner rechten Seite ein Tal wiederzuerkennen, wo ich am Tag zuvor die jungen Kühe getroffen hatte. Als ich die Spitze eines Hausdaches hinter einem Steingeröll erahnte, wurde ich richtig aufgeregt. Ich konnte meine Freude nicht verbergen, kam grinsend zur Tür hinein, zog mir dicke Socken an und machte mich geduldig daran, ein Feuer zu entfachen. Es wurde warm in der kalten Stube und ich schlief ein, mit dem wohligen Geräusch von prasselndem Regen auf dem Welldach über mir.

Es ist nächster Abend und ich sitze mit Natan neben dem Ofen in dem Wohnzimmerteil, der damals das ganze hölzerne Haus ausmachte. 3 mal 3 Quadratmeter vielleicht. Dann kamen nach und nach die Küche, und 3 weitere Zimmer dazu, mit jedem Kind ein Stückchen mehr. Das Wohnzimmer wurde vergrößert und außerhalb entstand ein windgeschützter Eingangsbereich für Schuhe und das Ofen-Holz, eine kleine Terasse mit Blick auf die Hügel und das Sonnen-Deck, das zum kleinen Garten hin reicht. Und jetzt erzählt uns Natan diese Geschichte. Er ist hergezogen und aus der Stadt geflohen. Nach 20 Jahren, in denen er für sein Essen stehlen musste, andere seines Alters zum Kindergarten brachte, ohne selber je mitzumachen, und auf den Straßen der großen Stadt ums Überleben kämpfte, sah er das als seine einzige Alternative. Jetzt vermietet er das Haus an 4 junge Menschen, alle mit dem Wunsch der Natur näher zu sein und gemeinschaftlich zu leben. Er bleibt zum Abendessen und wir schlürfen warme Suppe und knabbern an frischgebackenem Fladen. Ofri und Nor nehmen Gitarre und Shaker und ich komme mit der Geige dazu. Es entsteht ein Spielplatz von Tönen und Sprache, Ofri klimpert mit Nägeln auf den Bassseiten, Nor groovt auf der Ukulele und ich singe von Hexen und queer-feminist-ecological Monstern. Uns ist nichts komisch genug, wir gackern und kichern und lachen und lassen uns von dem gemeinsamen Rhythmus tragen. Wir wissen nicht wohin es geht, doch es gibt keinen Zweifel daran, dass wir auf dem richtigen Weg sind.