Mit neuen Augen

Ich fahre nach Poing. Eine Siedlung außerhalb Münchens, mit einer gräßlichen neuen Unterführung und auch sonst wenig populär. Doch meine Oma wohnt da. Sie wartet beim Italiener. Ihr Hund, irgendwie viel zu dick, er hat etwas Monsterartiges, bellt als ich auf die beiden zukomme. Nach ein paar Minuten hat er sich beruhigt. Oma fragt die paar üblichen Fragen, dann kommen wir auf das Kindermädchen, dass ihre Familie damals „vom Hitler“ gestellt bekommen hatte und den Hausherrn,d er mit einer Jüdin verheiratet war. Sie erzählt von den Wildschweinen, die sie die eineinhalb Stunden Fußweg vom Schloss in die Stadt zur Schule begleitet haben und der Sailbahn, in die sich die 4 Kinder heimlich beim Rückweg hineingesetzt haben. Ich beende mein Essen und hole mir eine Karotte aus der Tasche. Gut wars, aber ich hab immer noch Hunger. Die Hündin Lisa winselt und schaut mich mit großen Augen an. Ich reiche ihr meine Karotte und sie verschlingt sie. „Na so was?“ Meine Oma ist erstaunt. Lisa klaubt die letzten Krümel auf und schaut mich erneut an. Ich krame in meiner Tasche und reiche ihr ein weiteres Stück. „Des gibt’s ja gar ned!“ Wir gehen zum 5-Stände Freitags-Markt, kaufen ein Pfund Karotten und gehen nach Hause. Ich schaue mich um. Das hässliche Poing ist heute gar nicht so schlimm. Wir kommen zu dem Häuserkomplex wo meine Oma schon 40 Jahre lang wohnt und unser Blick wird von einem Baum gefangen. Giftgrün! Noch nie hab ich so eine Farbe gesehen an einem Baum. Höchstens mal die neusten Blätter oder Nadeln, die in der Mitte zwischen den alten herausluken und sich ihren Weg bahnen, bis sie dann doch dunkel werden. „Hier bleib ich jedes Mal stehen! Mei und schau, mit den Schäfchen-Wölkchen!“

Wir gehen zur Hundewiese, die jetzt wie ein Flickenteppich aufgeteilt ist in Teile für Schmetterlinge und Bienen und Teile für… grüne Teile eben. In der Mitte ein Kirschbaum. Ich glaube es ist das zweite Mal in meinem Leben, dass ich in Deutschland wilde Kirschen esse. In Israel waren die sünd-teuer. „Dieses Jahr gibt es alles zu Haufen! Die Nüsse so rund wie nie, die Wiesen bunt und hör mal, welch Gesang!“ Wir stehen unter 3 Lindenblütenbäumen und lauschen dem Summen etlicher Bienen. „Wenn ich mit meiner kleinen nichte hier langlaufe, dann kennt sie all die Pflanzen, die man essen kann. Die Kinder in der Schule fragen dann immer woher sie das weiß. Von mir natürlich. Die lernen da ja nix gscheits mehr. Hier das Johanneskraut zum Beispiel, das hat meine Mutter in Öl eingelegt und das haben wir dann überall draufgeschmiert. Das war das beste Heilmittel! Die hat das ja gelernt!“

Das ist wohl das erste Mal, das sie mir davon erzählt. Ich weiß, sie hatte damals den Schrebergarten, wo ich den Sauerampfer in mich hineingeschlungen habe, bis ich zur noch pinkeln musste und ach, die leckersten Stachelnbeeren.
„Hast du damals eigentlich gedüngt?“
„Ach quatsch, da hätt ichs ja gleich kaufen können. Du musst Eierschalen in Wasser einlegen, 8 Tage warten, aber draußen sonst stinkts! Da schießen dir die Sträucher in die Höhe!“

Wir gehen durch den Park, der mir plötzlich wunderschön vorkommt. Ja klar, glattgestriegelt und feinrasiert, aber voller Geheimnisse und Überraschungen. Wie dieser Riesen-Pilz. „Den müssen wir zur Apotheke bringen und schaun, ob der giftig ist. Mei ist der schön!“ Sie bricht ein Stück ab und er läuft an der Stelle blau an. Ich drücke mit dem Finger auf seinen braunen Hut und auch dort bekommt er einen dunklen Fleck. Wow! Seine untere Schicht ist wie ein Komplex von kleinen gelben Gummiröhrchen, ein richtiger Schwamm. Darüber eine feste, Schaumstoffartige Masse. Wir entdecken kleine Wurmlöcher und geben den Pilz dem Boden zurück und schlendern weiter vor uns hin, überall ein Pflänzen, und dazu eine Geschichte. Als ich den Kirschbaum vor uns sehe, mit dunklen großen Früchten kann ich nicht anders, und kletter rauf. „Ich bin fei ned Schuid, wennst runter fällst! Sitzt da oben wia a Bua! Wenn ich da jetzt a Kamera hätt!“

Ich habe lange nicht so einen schönen Tag mit meiner Oma verbracht. Mein Blick auf die Welt ist noch der einer Reisenden, für die jeder Ort eine Entdeckung ist und jeder Mensch eine Brille mit Geschichte. Ich blicke erneut auf die Pflanzen am Wegrand, an denen ich schon tausende Male vorbeigegangen bin. Ein paar erkenne ich von früher, ein paar hab ich in in Israel kennengelernt, ein paar sind mir neu. Mein Zuhause wird zu einem Ort voller Überraschungen.