Weiterziehen

Das ist wohl das, was eine Reisende ausmacht. Oder eine Suchende. Je nachdem. Mein neues Zimmer teile ich mit einem US-Amerikanischen Freiwilligen geteilt. Er ist losgezogen um herauszufinden, was ihm wirklich Freude bereitet anstatt stumpf das weiterzumachen, wovon er weiß, dass er es kann. Doch jetzt sieht er müde aus, vom kommen und gehen, begrüßen, kennenlernen, verabschieden und immer wieder von Neuem anfangen.

Ab dem ersten Moment prankt AMI auf seiner Stirn. Seine übertriebene Aufgeschlossenheit nervt mich schon bevor ich davon überhaupt genug mitbekommen habe. In dem Moment, in dem das wahrnehme, entscheide ich mich, ihn mit offenen Augen anzusehen und zu versuchen, hinter die trennende Schicht zwischen uns zu schauen. Er erzählt von seiner schönsten Kindheitserinnerung, wo er sich mit seinem Bruder mit Schlamm beschmeist und eine Riesensauerei macht. Er fragt nach einer Umarmung und bedankt sich für unsere Begegnung. Langsam wird der Blick frei auf einen Menschen so wie ich es bin. Reisend, auf der Suche.

Ich bin in Ramot. Ein Ort am Gallilee Sea. Jeden Morgen um 6 geht’s los zum Mango-Bäume beschneiden. Der Landwirt kennt seine Bäume in und auswendig und er beobachtet von Jahr zu Jahr, wie sie sich verändern, was ihnen gut tut, was nicht… Endlich verstehe ich, warum Baumschnitt betrieben wird und die Äste nicht einfach wild vor sich hin wachsen; zumindest wenn man große Massen verkaufen will. Einige Zweige werden abgeschnitten, um die Kraft und Energie auf andere zu konzentrieren. Wenn zu viele Wachstumsmöglichkeiten da sind, dann bekommen die einzelnen Enden nicht genug Energie aus dem Baum und nicht genug Licht und bilden keine Früchte aus oder nur sehr kleine. Zentriertes Denken, irgendwie ähnlich wie unsere Gesellschaft heutzutage funktioniert… Spazialisten über Spezialisten.

Ganz im Gegensatz zu der Familie des Landwirts, bei der ich unterkomme. Sie leben sehr nah zur Natur und kennen sich mit verschiedensten Dingen aus, die zur Selbstversorgung beitragen. Manchmal kommen sie mir gar dogmatisch vor, und wenn ich mir erlauben darf zu urteilen hat sich wohl daher ihr Traum, eine Community zu bilden, noch nicht verwirklicht. Die Kinder der Familie gehen nicht zur Schule, sondern bekommen zuhause das beigebracht, was sie neugierig macht. Wenn sie doch irgendwann in die Schule gehen möchten, dürfen sie das selber entscheiden. Bis dahin sollen sie lernen, was sie gerade lernen wollen und das tun, mit dem sie sich beschäftigen möchten. Und sei es, dass sie dann viel vor dem PC sitzen oder eben wie heute zusammen mit Mama Gnocci machen und bei ner Poolparty-Spritzaktion den ganzen Bereich vor dem Haus unter Wasser setzen. Sie sind so viel Kind, wie mensch Kind nur sein kann.

Mal wieder ist es eine Argentinierin, die hier wohnt. Sie hat jedoch wenig mit den Argentinier gemein, die ich kennengelernt habe, als ich dort gelebt habe. Sie isst alles roh und nur vegan und alle genutzten Produkte sind selber hergestellt oder zumindest von natürlichen Herstellern. Als ich dort war, war das kurz vor dem Glyphosphat Skandal und ich hatte zwei mal pro Tag ein Stück Fleisch auf meinem Teller.

Wenn ich mich umschaue, dann hat die Familie aber grundsätzlich wohl eine sehr gegenstätzliche Einstellung zum Leben, als alle anderen hier in der Umgebung. Ihre Mango Plantage liegt etwas abseits von den anderen. Diese haben schon vor zwei Monaten die Mangos geernet, alle noch grün und in einem Rutsch. Das Problem ist, dass die Mangos beim Trennen vom Ast, einen brennenden weißen Saft ausstoßen und dieser wird umso weniger, umso reifer sie sind beim Moment des Pflückens. Also haben enorm viele der angemieteten ArbeiterInnen auf den anderen Farmen allergische Reaktionen am ganzen Körper gezeigt. Bei uns gab es keine. Wir gehen jeden Tag auf’s Neue über die Plantage und schauen, ob fast reife Mangos dabei sind. Also sind wir erst vor ein paar Tagen fertig geworden mit dem Pflücken. Während wir also mit dem Baumschnitt beschäftigt sind, wird ein paar Hundert Meter weiter ein völlig verrücktes Spiel durchgeführt, was anscheinend den Ursprung fast all unseres Obstes beschreibt: Veredelung. Der starke Stamm mit tiefen Wurzeln (zum Beispiel eine Sorte, die wenig Wasser braucht) wir von seinen Ästen komplett befreit und in die Schnittstellen werden neue Äste einer anderen Sorte (zum Beispiel mit großen süßen Früchten) eingepflanzt. Nach dem Motto, best of both worlds. Es schaut so irreal aus. Die Enden sind mit Alufolie umkleidet und der Stamm weiß angemalt, damit er nicht austrocknet.

Was mich wohl am meisten glücklich macht: Es gibt Komposttoiletten! Sie sind mir ein solches Vergnügen! Ich fühl mich sauber nach dem Klogang und nicht ganz so sehr wie ein Fremdling auf Erden. Ich muss meine Reste nicht wegspülen in ein System von Kläranlagen, sondern decke sie mit Sägespäne ab und lasse sie wieder Teil der Erde werden. Es tut gut zu sehen, was alles möglich ist und es ist deutlich, wie viel Herzblut und Überzeugung dahinter steht. Ich wünsche mir, ihre Werte wären mehr Normalität und ihr kleines Paradies müsste nicht so wehement verteidigt werden. Denn manchmal spüre ich einen Dogmatimus hindurch, der abschreckt und mich nicht wundern lässt, dass sie noch niemanden gefunden haben, der Teil ihrer Kommune werden will…