Geschichten in Kamuflage

Im Laufe der Zeit spreche ich mit vielen Menschen über ihre Zeit im Militär. Wenn zwei Israelis sich kennenlernen, wird erstmal abgecheckt, wo sie Dienst geleistet haben und ob sie sich nicht daher irgendwie kennen. Ich erinnere mich noch an so manche Geschichten…

Merav: „Die gesamte Schulsystem ist darauf aufgebaut, dich auf die Armee vorzubereiten. Ich hab es gemacht, ich wollte wissen, was es heißt, in diesem System zu sein. Ich wollte mich von seiner Brutalität überzeugen lassen. Und ich mochte tatsächlich meine Funktion. Ich habe junge Leute auf die Armee vorbereitet, eine Gruppe begleitet, Einzel-Gespräche geführt. Ich durfte 2 Stunden in der Woche meine eigenen Ideen einbringen, habe über Dumpster Diving und son Zeug mit ihnen geredet… in der Zeit habe ich in Shapira – im Süden von Tel Aviv gelebt, und das Zusammenleben war einfach genial.“

Auf einem gemeinsamen Spaziergang, wir stehen an der obersten Spitze eines Klettergerüsts, erzählt mir Shemer: „Ich war kein glückliches Kind. Schon davor nicht. Erst nach zwei Jahren Zivildienst habe ich mich getraut, etwas zu sagen. Habe versucht, entlassen zu werden. Ich habe mit der Psychologin geredet, doch sie hat mich nicht ernst genommen. Irgendwann habe ich es geschafft, in eine Auszeit geschickt zu werden. Als ich mich geweigert habe, zurück zu kommen, wurde ich ins Gefängnis gesteckt. Dort war ich ein paar Wochen bis der Albtraum endlich vorbei war.“

Udi raucht seine Zigarette. Wir sitzen auf seiner Terasse und er erzählt mir von allem, was vorher war. Bevor er auf einem Bauernhof lebte. Bevor er sich gesund ernährte, von Gewaltfreier Kommunikation hörte, seine Augen lernte zu heilen… „Damals lebte ich im Westjordanland. Hab dort studiert. Bis es mir reichte und ich in die Wüste ging. Ich war Teil des Krieges, habe Menschen sterben sehen. Ich war einfach kaputt danach. Unser gesamtes Volk ist traumatisiert von diesem Irrsinn. “

Während wir eine Wanderung durch die bergige Umgebung von Jerusalem machen, erzählt mir Yuval: „Ich hab dir ja gesagt, nicht alles am Zivildienst ist schlecht. Ich habe richtig viel gelernt. Was es bedeutet, Keyboarder in einer Band zu sein im Vergleich zu einem Solo-Piansisten. Ich bin aufgetreten, habe Musik gespielt, die ich sonst nie gespielt hätte. Nur die Zeiten, die ich in der Basis verbringen musste, die waren hart. Einfach dort sitzen, auf irgendeinen Bildschirm starren und nichts tun. Ich freue mich wenn es vorbei ist im November. Dann schneide ich mir die Haare wieder, so wie ich es mag. Vielleicht einen kleinen Iro mit Farben.“

Kurz vor Ende lade ich 3 Freundinnen zu mir in meinen Bus ein. Wir sitzen auf dem Holzboden, trinken Tee aus Keramiktassen von Tadita und Shahar enthüllt ihre Geschichte: „Ich hatte damals kurzgeschorenes Haar so wie die männlichen Soldaten. Ich war trainiert, hatte einen starken Körper, eine richtige Combat-Soldatin. Ich wollte mich beweisen. Nach der allgemeinen Vorbereitungsphase wurde ich in im besetzten Westjordanland eingesetzt. Ein paar Monate war ich dort. Ich habe gesehen, was es bedeutet, Menschen zu unterdrücken. Irgendwann ging es mir richtig schlecht. Ich wusste, dass ich da raus muss, doch ich wusste auch, dass meine Geschichte überzeugender sein muss, als die der anderen. Meine Eltern standen zu hundert Prozent hinter mir und haben gemeinsam mit mir gespielt. Ich habe vor der Psychologin geweint, Selbstmord angedeutet und mich von meinem Spiel selber so mitreißen lassen, dass ich in eine Psychiatrische Klinik mit Verdacht auf Psychose eingewiesen wurde. Es ging mir wirklich nicht gut, doch ohne Theater hätten sie mich nicht ernst genommen. Als mir die Tabletten gegeben wurden, habe ich sie unter meine Zunge gelegt und danach wieder ausgespuckt. Doch der Monat dort war gut für mich. Vor allem die kreativen Therapien, das tanzen und malen, die Musik. “

Yarin legt seine Oud weg und dreht sich eine Kippe. Er stellt sich auf dem balkon und spricht von dort zu mir. „Ne gute Zeit war’s, als ich einer der Wächter an der Grenze zu Ägypten war. Ich hab den ganzen Tag geraucht, n Buch geschrieben und mit anderen Soldaten Blödsinn gemacht. Ein paar von ihnen sind immernoch gute Freunde von mir. Beschissen ist es, wenn Krieg ist. Wenn alle Soldaten gerufen werden um zur Grenze von Gaza zu kommen um die Tunnel zu zerstören und das zu tun, was getan werden muss. Am schlimmsten war es, als ich der Mutter von nem Freund sagen musste, dass ihr Sohn umgekommen ist.“

Die Geschichten sind unendlich. Nicht zu vergessen diejenigen, die nach der Schule das Land verlassen haben, um den Zivildienst zu umgehen.

Mit der Zeit gewöhne ich mich an die Maschienengewehre, die Passkontrollen, die Kamouflage-gekleideten Bussnachbarn. Daran, dass jede Person ihre Geschichte mit der Armee hat, ob in der Westbank, im Gefängnis, in der Psychiatrie, bei der Jobsuche oder im Ausland…