Das Fest der Lichter

„Frohe Weihnachten“ sagt Ruti, und drückt mir einen Sekt mit Weihnachtsmann drauf in die Hand. Wäre ich in Deutschland, hätte mir diese Geste wohl eher wenig bedeutet. Wahrscheinlich hätte ich mich innerlich sogar aufgeregt, dass jemand damit den den kapitalistische Markt unterstützt und das obwohl ich nicht mal trinke.
Doch dieses Mal hat es eine andere Bedeutung für mich. Im jüdischen Alltag, wo alle „hanuka“ feiern, jeden Tage eine der 9 Kerzen anzünden und Krapfen essen, sehne ich mich nach meiner eigenen Tradition. Nach dem Nachhausekommen bei weihnachtlicher Kälte und Dunkelheit, nach dem Kerzenschein und der warmen Suppe. Nach dem Plätzchen Backen und dem Nachdenken über die wichtigen Menschen um mich herum. Ich sehne mich, weil diese Tradition etwas erzählt. Sie erzählt, dass ich die Regeln kenne, dass ich weiß, mit wem ich an einem Tisch sitzen werde. Sie erzählt von dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Ich wünsche mir diese Dinge her. Ich stelle Teelichter auf, backe Lebkuchen und bereite Glühwein zu. Ich bin zum ersten Mal seit meinem Aufenthalt hier auf der Suche nach Deutschen, den sogenannten „Gleichgesinnten“.  Einfach weil ich dieses Erlebnis, diesen Tag, mit jemandem teilen möchte. Und wenn dann plötzlich jemand mit einem Geschenk kommt, jemand, der wahrnimmt, dass ich aus einer anderen Kultur komme und bestimmte Bräuche damit verbunden sind,ist es, als würde er/sie mich wirklich sehen und wertschätzen. Sie hat weiter geschaut, als nur bis zum Rand ihrer eigenen Bräuche.
Wenn man einsam ist, bekommen diese kleinen Dinge plötzlich einen ungemeinen Wert. Diese Einsamkeit bringt mich komischerweise näher zur Notwendigkeit, zu teilen. Als ich gestern auf dem Markt war um für das Weihnachtsessen übergebliebenes Essen einzusammeln (es war feucht und dunkel, leer und die Wege zugemüllt) war es das natürlichste auf der Welt, der Touristin ihr Baklava zu bezahlen. Ich hatte gerade zufällig das passende Geld und sie eben nicht. Ich habe mich kurz gefühlt, als würde ich hierher gehören. Ich konnte mit dem Verkäufer reden, ich kannte die Regeln des Marktes und ich hatte irgendwie von den Leuten hier gelernt, nachdem ich unzählige Male einfach beschenkt wurde. Ob ich den Menschen mit dem gleichen Grinsen und herzlicher Umarmung gedankt habe, weiß ich nicht.

Vielleicht sind diese Tage ein kleiner Einblick in die Welt eines Menschen mit Migrationshintergrund. Jemand, der umgezogen ist, und sich sein Leben ganz alleine neu aufbauen muss. Heute sind mir all die jüdischen Bräuche egal und meine Neugierde der letzten Monate für “das andere” wie weggeweht. Das einzige, was ich möchte, sind Menschen um mich herum, die mir nah sind und mit mir meine Tradition teilen. In den letzten Jahren haben diese Festlichkeiten für mich an Wert verloren und ich habe sie eher verflucht als gesegnet. Ich habe mich in Kreise begeben mit Menschen gleicher Werte, mit ähnlichen Interessen und Standpunkten im Leben außerhalb von Traditionen und nationalen Bräuchen. Heute geht es mir um etwas anderes. Ich wünsche mir die Präsens einer Tradition, die ich mit menschlicher Nähe verbinde. Da ist es für einen Moment nicht mehr wichtig, ob jemand Fleisch mit zum Weihnachtsbuffet bringt. Wichtiger ist mir, dass derjenige da ist und sich willkommen fühlt.

Wir waren am Weihnachtsabend also zu fünft. Die Palme als Christbaum verkleidet, die Hanukia mit ihren 3 angezündeten Teelichtern, Nitai der Rohkostler und Simcha, der noch vor ein paar Jahren streng religiös war und einer Frau nicht in die Augen geschaut, geschweige denn sie in ihrer Wohnung besucht hat. Ach ja, und ich. Die Äffin in der Stadt.