Immer Wieder

Ich komme nach Hause und das Fahrrad von Zuf steht vor dem Gartentor. Sie kommt rausgelaufen und meint „Ich wusste, dass du das bist. Aber ich hab dich nicht gesehen! Ich wusste es einfach! Sie umarmt mich und wir gehen rein. Aviva, Non und Teo sitzen am Wohnzimmertisch. Nacheinander begrüße ich sie. Ich drücke Teo, gebe Aviva einen Kuss auf ihr Haar und gehe ins Bad um meine Hände zu waschen. Ich weiß, dass ich heute mit Aviva darüber reden werde, wie es weiter geht. In mir kommt ein mulmiges Gefühl auf.

Ich gehe zurück ins Wohnzimmer/ Küche und bereite mit Non unseren angefangenen Injira-Teig zu. Nachdem wir eine Stunde lang versuchen, die angeklebten Teile von der Pfanne zu kratzen, machen wir unser übliches Sauertag-Brot draus. „Ein glorreiches Versagen ist besser als ein Traum in der Schublade“, zitiert er ein jüdisches Sprichwort.

Ein wenig später kommt Aviva ins Zimmer und wir halten endlich das viel zu lang aufgeschobene Gespräch.

„Und nochmal, und ich sage das mit aller Aufrichtigkeit, du bist wundervoll und ich bin wirklich glücklich, dass du hier bist. Frag Teo, wie oft ich davon rede, wie toll du bist. Du bist wirklich ein Teil meines Herzens geworden. Doch ich habe mich in den letzten Tagen verloren, ich weiß nicht mehr, wie ich die Situation unter Kontrolle kriegen kann und bin außer Balance.. Die beste Indikation, dass was nicht gut läuft, ist Zuf. Sie ist aufgewühlt, findet keine Ruhe hier zuhaus und ich kann ihr keine Klarheit bieten. Sie redet von Paolas Zimmer und muss ihren Platz finden zwischen all den Erwachsenen um sie herum. Ich möchte meiner Tochter wieder Stabilität bieten. Als wir mit ihr alleine waren bei Teo, war sie ganz ruhig und hat ganz für sich gespielt. Ich möchte wieder Halt in diesem Haus finden.“

Als mich Non heute morgen bei unserem morgendlichen Lauf fragt, wie das Gespräch für mich war, habe ich von Erleichterung gesprochen. Die Dingen seien endlich klar und jetzt könne man damit umgehen. Doch ich hatte noch nicht verstanden, dass es mir weh tun würde, wieder Abschied zu nehmen. Jetzt sitze ich an meinem üblichen Platz am Harziot-Friedhof und eine Traurigkeit kommt auf. Wieder weiterziehen. Wieder neu orientieren und meinen Platz finden.

Am nächsten morgen ist eine Ruhe eingekehrt im Haus. Ich esse mit Zuf eine Grapefruit und bereite ihr ihren Frühstücks-Porridge zu. Dann spielen wir Theater und singen ein Lied über Smortut, unser eigenes Wort für Schwein. Wir erfinden unsere eigene Sprache, indem wir alle Wörter sammeln, die ich falsch ausspreche, und ihnen eine neue Bedeutung schenken. Aviva liest uns beiden ein Kinderbuch über Läuse vor, die ihren Weg über die Köpfe der Welt machen.

„Der Truck ist aber ne gute Alternative, oder?“ fragt mich Aviva. Ich stimme verhalten zu, wenn ich dran denke, dort ganz alleine zu sein. Ich will festhalten. An dem Gefühl Teil einer Gemeinschaft zu sein, einer Gruppe, dessen Berührung ich genieße und die mir Inspiration schenken. An dem Gefühl, mit einer Familie zu leben.

Noch vor ein paar Tagen, habe ich mir gedacht, mir ein Projekt mit den Nachbarn  zu überlegen. Die meisten kenne ich mittlerweile von meinem kleinen privaten Platz vor dem Haus. Eine Liedersammlung war die Idee und ein kleines Konzert, wo sie die Musik voneinander kennenlernen können. In unserer Straße wohnen Menschen von allen Nationen. Links neben uns kommt immer wieder russische Ska-/Tanzmusik auf, gegenüber mögen sie Reggea und ich habe türkische Lieder-Tipps bekommen.

Wenn ich jetzt gehe, bin ich wieder erstmal nur Gast irgendwo. Ich werde wieder meine Zeit brauchen, um mich neu zu orientieren, mich dem Rhythmus der anderen anzupassen, und meinen eigenen Platz zu finden. Ich werde wieder Zeit brauchen, um zu verstehen, wie ich einen Teil dieser neuen Umgebung formen kann und etwas machen kann, das nicht nur mich alleine betrifft.

Wenn ich jetzt gehe, heißt es, dass mein Kreis an Menschen wieder ein anderer sein wird. Ich kann nicht nach ein paar Tagen zurückkommen und Zuf erklären, dass sie mich plötzlich nicht mehr berühren darf und wir auf 2 Metern Abstand spielen müssen. Abschied nehmen fühlt sich jetzt endgültig an…