In der Musik #1

Ihre Stimme klingt unruhig am Telefon. Sie antwortet mir stur auf Englisch, so wie ich stur nur auf Hebräisch mit ihr spreche. Ich gebe das Telefon an seine Besitzerin zurück und schaue mich am Bahnhof um. Für 18:00 haben wir uns verabredet. Ich warte. Plötzlich spricht jemand mit mir. Ich bin kurz durcheinander, dann macht es klick. Die Kameraperspektive unseres Zoom-Gesprächs verworfen, überrascht mich ihr Anblick. Klein kommt sie mir vor. Auf der vorderen Hälfte ihres Kopfes hat trägt sie kurzgschorenes Haar, den Rest hat sie über die linke Schulter gelegt. Dazu eine weiße Bluse mit burlgarischem traditionellen Muster und eine gefärbte Chordhose mit zwei riesen Löchern an den Knien. Auf dem Rücken ein Rucksack und auf der Schulter einen Intrumentenkoffer.

Wir gehen zur Bushaltestelle und ich bin genervt davon, dass sie immernoch auf Englisch mit mir redet. Als ich sie darauf anspreche, erklärt sie mir, sie seie das gewöhnt. Zwei mal in der Woche verteilt sie das gerettete Gemüse, das vom Markt aussortiert wird in Kisten um diese an Familien zu geben, die in dieser schwierigen Phase kein Geld für Essen haben. Dort redet sie vor allem Englisch. Ich solle es bitte nicht persönlich nehmen.

Wir steigen in den Bus in Richtung Kfar Hasidim und sie beginnt erneut auf Englisch. „I know this Town. I grew up there, you now? Few of the happiest years in my childhood. I had the room with the view to the mountains. But then we left to Jerusalem.”.
“Lama?”
“I come from an ultraorthodox family, we are Breslov-Hasidim. We used to sing a lot, music was a big part of my life. My parents moved here when I was three, but as my mom was from a different branch, the group here didn’t accept her. She never really felt really at home in this town, so after three years we moved back to Jerusalem” Ich beginne sie ein Stückchen mehr zu verstehen. Ihre unruhigen Bewegungen, die ausweichenden Blicke.

Wir kommen in dem kleinen Dorf an, steigen aus dem Bus und schauen auf einen leeren Spielplatz. Da kommt Roni, Barfus, mit flatterndem Rock und einem Grinsen auf dem Gesicht auf uns zu. Sie umarmt uns freudig und wir machen uns auf den Weg zu dem unbelebten Event-Zelt ihres Vaters mit dem Kunstrasen, den bunten Scheinwerfern und der getrockneten Hundekacke.

Abends singen wir bulgarsiche Lieder. Es fühlt sich anders an mit Shelma, irgendwie mühsam. Sie wirkt unaufmerksam, und mir fehlt das „Zusammen“ in der Musik. Ich denke an die verrückte Situation, in der wir uns befinden. Vor ein paar Wochen hat Roni uns einfach jede Einzelne gefragt, ob wir eine Band gründen wollen. 4 Frauen, die Musik lieben. Und jetzt sind wir hier.

Ich denke an unser erstes Treffen vor einer Woche, nur Roni Shahar und ich. „Ihr scheint mir wie drei verlorengegangene Schwestern“, meinte Ronis Mutter als sie uns drei in der Küche sah, wie wir versuchten, den misslückten Pfannkuchenteig zu verschiedensten anderen Teigvarianten umzuformen, um ihn ja nicht wegzuschütten. Im Laufe der zwei Tage im Dorf Hasidim sind wir uns tatsächlich so nah gekommen in der Musik, als wäre es das Natürlichste und Übernatürlichste zur gleichen Zeit. Wir sind uns gegenet auf den gemeinsamen Wellen an Energie, den einfachen Rhythmen, den weichen Melodien und Mantramäßigen Verläufen. Ich habe unglaublich genossen von dem gegenseitigen Zuhören und dem Genuss an Stille. Und jetzt ist es irgendwie anders. Härter, schneller, angespannt.

Am nächsten Morgen kommt ein weißes Auto vorgefahren. Aus dem Fenster grinst und Shahar zu. Wir anderen drei sitzen in Unterhosen auf der Holzbühne des Zeltes und klimpern vor uns hin. Ich springe auf und falle Shahar um den Hals. Eine Vorfreude kommt in mir auf, über ihre Kreativität, ihre weiche Art und ihre gespitzten Ohren. Sie setzt sich zu uns und auch bald ist ihr klar, dass dieses Mal etwas anders ist. Die Magie unseres leztzten Treffens scheint aufgelöst. Unsere Dynamik gebrochen.

Nach dem Mittagessen und einem drückenden Schweigen vor dem viel zu lauten riesigen Party-Ventilator überrede ich die Gruppe, ans Wasser zu fahren. Mit Sonnencreme auf der Nase laufen wir durch den kleinen Wald, den Bach entlang. Der Lauf der Wege, die Farben der Blätter, die Höhen der Bäume; alles kommt mir seltsam bekannt vor. Ich fühle mich plötzlich ganz nah der Landschaft, als kenne ich den Ort. Es waren wohl die Juden aus Europa, die diesen Ort bepflanzt haben. Der Ort ist Beispielhaft für die verqueerte Vegetation des Landes. Kaum eine der Pflanzen, die für mich zu einem Wiedererkennungszeichen des Landes geworden sind, hat es hier ursprünglich gegeben. Nicht der Eukaliptus, der Fikus, die Nadelbäume, der Bambus, die Bougainvillea, usw. In der Tanach wird von 7 Spezien geredet, die natürlicherweise in dieser Region wachsen: Weizen, Gerste, Weinstöcke, Dattel-Palmen, sowie Feigen-, Granatäpfel- und Olivenbäume. Wo wir gerade sind fühlt sich an wie ein Ausflug in ein anderes Land.

Ein Stückchen abseits von den Grillparties finden wir ein paar Steine im Schatten. Ich lege meine Sachen ab, ziehe mich aus und steige in das kühle Wasser. Der Bach ist flach und hat etwas ruhiges, idyllisches. Pflanzen hängen von allen Richtungen ins Wasser, die Sonne scheint durchs Blätterdach und mustert das klare Wasser. Shahar taucht neben mir unter, schöpft sich das kühle Wasser über die Stirn. Die Sonne lässte die Tropfen glänzen auf ihrem Haar glänzen und ihr Lächeln ist genussvoll und warm. Sie sieht, dass ich immernoch nicht untergetaucht bin und beginnt mich mit Wasser anzuspritzen. Ich genieße diese kindliche mädchenhafte Verspieltheit. Wie damals im Norden merke ich, wie mein Kopf durch das kalte Wasser wieder klar wird und ich nach den trägen Mittagsstunden erwache. Ich gehe in die Hocke, das Wasser bis zum Bauchnabel, und fange an zu singen. Shahar folgt mir, reagiert auf meine Melodien, begleitet sie. Roni taucht ein und legt ihre helle Stimme über unsere gregoriansichen Gesänge. Gemeinsam tauchen wir ein, in eine andere Welt. Unsere Töne verweben, sind neugierig, herausfordernd, weich und kristallen. Wir werden zu Nymphen in einer Höhle vor Hunderten von Jahren. Die Magie unseres letzten Treffens kommt zurück. Shelma sitzt neben uns, doch sie klingt abseits. Ihre Melodien tief und rauchig, irgendwie fremd.

Wir sinken in die Welt des Spiels. Wir wechseln von einer Rolle zu Nächsten, schneiden Grimassen und testen die Grenzen unserer Stimmen. Wir sind Affen und Nymphen, Monster und Ritter, Ratten und Tänzer zur gleichen Zeit. Und Shelma ist irgendwie dabei. Greift unsere Ideen auf und wiederholt sie schüchtern.

Mit knurrenden Mägen und müde von den imaginen Reisen fahren wir heim.

Am nächsten Tag fliehen wir noch vor dem Mittagstief aus dem heißen Zelt. Shahar sitzt schweigend am Steuer. Ich spüre, dass sie sich nicht wohl fühlt. Ich suche nach der passenden Musik und lege Shantel auf. Die undefinierte Stimmung bleibt in der Luft hängen. Die Musik fühlt sich an wie ein Bauer, der seinen sturen Esel versucht anzutreiben.

Auf dem Weg kommen wir den Feldern von Ronis Vater vorbei und klauben die Reste der Saison auf. Barfus stapfe ich durch den Schlamm und suche nach den Pomelos, die noch nicht von den Tieren gesquated wurden. Zurück an der Radiostation des Autos spüre ich in mich hinein und merke wonach ich suche. Ich lege Alama von Fatoumata Diawara auf und ihre Musik füllt das Auto mit einer weichen, ruhigen Stimmung.

Am selben Platz angekommen kühlen wir uns wieder ab, doch die Gruppe ist gespalten. Roni und Shelma folgen dem Bach, bis sie nicht mehr zu sehen und zu hören sind. Ich finde keine Ruhe, kann den Zauber des Ortes nicht aufnehmen. Leise klettere ich um Shahar herum, die auf den Steinen liegt, mit Blick in den Himmel gerichtet. „Darf ich etwas mit dir teilen?“ Und dann erzählt sie mir von ihren Zweifeln an der Gruppe und an Shelma.

Als die beiden zurückkommen schlage ich vor, eben zusammen zu kommen und uns ausztauschen, wo wir uns gerade befinden, wie wir uns fühlen. Ich spüre, wie ich für diesen Raum kämpfen muss. Shelma will endlich Musik machen und nicht wieder nur reden. Das würden wir doch eh die ganze Zeit machen. Roni un ich bestehen darauf und endlich Shahar erzählt von ihren Zweifeln. Doch was sie mit mir geteilt hat, bleibt ein Geheimnis.

Ich merke, wie unsicher und gebrechlich die Freundschaft der Gruppe noch ist. Die pure Ehrlichkeit scheint noch zu brutal.