In der Musik #2

Ich bin einfach gegangen. Immer wieder auf’s Neue habe ich versucht, gegen den Lärm der Straße anzukämpfen, Kreativität aus mir heraus zu saugen, die Menschen zu amüsieren, doch es ist mir einfach nicht geglückt. Ich war leer.

In dem Moment, in dem ich aus dem Kleinbus aussteige und die Straßen meines Viertels betrete, fällt mir ein Stein vom Herzen. Die Straße ist beinah leer, es ist ruhig und das Sonnenlicht scheint auf die hellen Häuser. Ich muss nichts mehr. Ich darf einfach nur sein.

Abends kommen die Mädls heim. Sie kochen sich etwas und setzen sich auf den Gehsteig vor der Tür. Aus dem Wagenfenster gelehnt, erzähle ich, was in mir vorgeht. Ich glaube, ich habe zum ersten Mal eine Gruppe gefunden, in der ich mich so geborgen fühle, dass ich weiß, dass meine größten Zweifel uns nicht trennen werden. Ich habe nicht das Gefühl für meine Wertschätzung kämpfen zu müssen. Ich weiß, dass meine Energie wiederkommen wird. Dass ich wieder bereit sein werde zu spielen, verrückt zu sein, auszurasten und loszupreschen. Zu scheinen, zu strahlen und zu inspirieren. Doch gerade will ich einfach nur sein. Die lauwarme Nacht auf mich wirken lassen, mich von ihrer Ruhe tragen lassen.

Ich nehme den Eimer Farbe, den ich auf der Straße gefunden habe, tauche den Pinsel ein und fange an, die Wand des Trainingsplatzes gegenüber zu bemalen. Die Formen sind lose, ohne Ziel. Pinselstrich für Pinselstrich versuche ich meine Urteile gegenüber mir selbst abzulegen, mich zu beruhigen, mir Halt zu geben. Formen zu finden, die mir gut tun. Mich mit den Kreisen und Rundungen anzufreunden, die vor mir entstehen.

Shemer kommt mit Layla vorbei, seiner neuen Mitbewohnerin. Ich springe auf und umarme ihn ganz lang und fest. „Nein, nein, du bist doch voll Corona!“ lacht er halb ernst, doch ich lasse ihn nicht los. Ich stelle die Mädls vor und erzähle von unserem gemeinsamen Musikmachen.

Plötzlich bekomme ich Lust zu singen. Ich renne in den Bus und hole meine Geige. Meine Hand zittert, während der Bogen über die Saiten streicht. Ich will der tollen Sängerin Layla neben mir imponieren, sicher gehen, nichts zu vergessen von unserem Arrangement.

Als wir die Instrumente weglegen und zu dem Akapella-Teil übergehen, sind wir alle komplett da. Mit geschlossenen Augen schenken wir alle Aufmerksamkeit den Harmonien, lassen uns von ihnen tragen, lassen sie leuchten. Fast flüsternd lassen wir das Lied ausklingen, öffnen unsere Augen und strahlen uns an. Ich atme tief durch und bin einfach nur dankbar.