Hoch im Norden

Gerade sitze ich mit meinem rohen Kakao unter dem Vordach des kleinen Häuschens in dem ich insgesamt 3 Wochen wohnen werde. Der Mond scheint und außer der Tastatur meines Laptops und eines sehr lauten Atmens, bei dem ich seit Tagen suche, woher es kommen könnte, hört man nur das Klatschen einer Hand, die versucht, den Mücken Widerstand zu leisten.

Gerade sitze ich mit meinem rohen Kakao unter dem Vordach eines kleinen Häuschens. Geplant ist, hier, in Beit Hilel, die nächsten 3 Wochen zu hausen. Der Mond scheint und außer der Tastatur meines Laptops und einem sehr lauten nicht-zuzuordnendem schnarch-ähnlichem Atmen, hört man nur das Klatschen einer Hand, die versucht, den Mücken Widerstand zu leisten.

Das Haus ist Teil eines Hofes mit einem Pecanwald, Feigenbäumen, Granatapfelbäumen, einem Gemüsegarten, wildem Gesprüpp, einem Keramik-Studio, einer riesen Werkstatt mit vielen Dingen, die ich nicht zuordnen kann und dem Haus der Familie, mit der ich gemeinsam zu Mittag esse und morgens um 6 aufstehe zum Bohnen pflücken (rank und schlank trifft es hier genau). „Boker tov! At yashant tov?“ frägt mich Ranon und ich schaue ihn mit halb-zugekniffenen Augen an. Zum Glück spricht er englisch.

Was ich hier mache und wie ich hierhin gekommen bin? Das werde ich natürlich ständig gefragt. Und meine Antwort geht immer auf Abiya zurück, der mir bei seinem Workshop in den Niederlanden von einem Projekt erzählt hat, das mich gepackt hat. Er nutzt Musik, um Gruppen in Konflikt, bzw. mit unterschiedlichen kultur-bedingten Narrativen, mit Hilfe von Musik einander begegnen zu lassen und eine Basis für eine respektvolle Kommunikation über sensible, gegebenenfalls auch politische Themen zu kreieren, In diesem Fall mit jüdisch-israelischen und arabisch-muslimische/christlichen Studenten. Als ich davon gehört habe war ich ziemlich schnell überzeugt davon, dass ich mir das von ganz nah anschauen will. Ich weiß wahrscheinlich weniger als viele, die das hier lesen, was das überhaupt bedeutet. Wie der Konflikt überhaupt aussieht, welche geschlichtlichen Ereignisse sie teilen und wie die politische Lage aussieht. Aber ich weiß, wie schwierig es ist, mit Menschen im gleichen Haus zu wohnen, die andere Werte und Gewohnheiten haben und wie viel Überwindung es manchmal kostet, nicht darüber zu urteilen, sondern es als eine Möglichkeit zu sehen, die Welt anders zu erleben. Ich weiß auch, wie schwierig wir es in Europa finden, eine Basis für fliehende Menschen zu bieten, bei der wir uns selber sicher fühlen und gleichzeitig genügend Raum geben um dem Gegenüber zu zeigen, er/sie ist willkommen.

Die Familie, bei der ich lebe, ist eine jüdische Familie, die Religion ablehen. Sie trenne Menschen, anstatt sie miteinander zu verbinden.  Trotzdem kommen sie Freitag Abend, zum Shabbat-Essen, zusammen, so wie das anscheinend jede jüdische Familie macht. Was ist Religion und wo beginnt Tradition? Ist das so wie unser Weihnachtsessen, wo der Grund des Festes in meinem Kreis kaum eine Rolle spielt? Würde ich sie in Deutschland als konservativ wahrnehmen, wo ich ein Verständniss für den Kontext habe?

Also rein ins kalte Wasser, zu einem mir so unbekannten Ort, der so beladen an Meinungen ist, wie wohl kaum ein anderer. Als ich in der Vorbereitung auf Facebook nach einem Schlafplatz in „Israel/besetztem Palestina“ gesucht habe, wurde mir schon bei der Formulierung die Komplexität des Konfliktes bewusst. Ich habe gemerkt; mit einem der beiden versau ich’s mir. Alle stehen auf irgendeiner Seite und haben irgendeine Meinung. Ich bin sehr dankbar, die Chance zu haben, mir mein eigenes Bild zu schaffen. Mich erstmal irgedwo dazwischen hinstellen und einfach nur beobachten. Diese kleinen Situationen und all das drum rum, das in einer Komplexität mündet, die ich wohl nie verstehen werde. Ich bin froh, mir nicht auf Teufel komm raus irgendeine Meinung bilden zu müssen, nur um mitreden zu können und zu beurteilen, wie denn die Lage aussähe. Wie überheblich es mir vorkommt, überhaput zu meinen, etwas zu verstehen, dass wir selber nicht leben.
Ja, ich darf jetzt einfach auf mich wirken lassen; nicht durch irgendwelche Medien oder Geschichtsbücher, sondern durch die Menschen selber – durch den Geruch in den Straßen, den Geräuschen um mich herum und dem Gefühl, das der Ort trägt.

Die Galaxie der Busse

Um in den Norden, du der Wwoofing-Familie zu kommen musste ich in Tel-Aviv am Busbahnhof umsteigen. Natürlich bin ich zu weit gefahren, weil ich nicht genau wusste, wo ich aussteigen muss und die Leute, die im Bus saßen waren entweder selber Touristen oder sprachen kein Englisch. Nach einer undeutlichen Aussage des Busfahrers bin ich also raus und hab mich von eine Person mit jugendlichem Kind lotsen lassen, nach dem Motto „Ich bin unterwegs und spreche mit jedem Menschen, bei dem es sich anbietet. Jedes Geschehen, ein mögliches Abenteuer. Wie zum Beispiel das Bezahlen der Fahrten. Ich wurde total Blöd angeschaut, als ich die 10 Cent anstatt den 10 Shekel hinüberreichte. Ich wollte andauernd die Kleinere abgeben und habe mich gefragt, was denn das Problem sei. Nachdem ich ihm dann einen Hunderter-Schein gegeben hatte, war der Busfahrer zufrieden und ich hatte mir eine aufladbare Karte ergattert, ohne jemals danach gefragt zu haben. Beim Busbahnhof angekommen, der erste kleine Erfolg, konnte ich erstmal den Haupteingang, so wie ich ihn mir vorstellen würde, nicht finden. Überall Taxis, Leute, 24-h-Läden.

Doch eigentlich war er überhauptnicht zu übersehen: An der Häuserecke eine Geländerreihe, Soldaten und Gepäckkontrolle. Drinnen angekommen die nächste Überraschung: Lauter Läden mit Zeug. Klamotten, Gebäck, Soundsysteme, Schuhe. Wie ein kleiner Bazar in einem kalten/dunklen mit grellen Lichtern erhelltem Gebäude. Alles grau und aus Beton. Wie ein Parkhaus ohne Autos. Nichts, das an Busse erinnert. Nur ein Schild, mit einem gedrucktem Bus drauf.

Mit Zater-Gebäck in der Hand und einem etwas verwirrtem bin ich den etlichen Rolltreppen in den 7. Stock gefolgt, einem langen Wartehallengang mit lauter riesigen Graffitis an den Wänden. Zur linken Seite eine Fensterfront, dahinter wartende Busse, wovon dann wohl irgendeiner meiner sein musste. Also noch eben auf die Toilette und Flasche auffüllen. Ist das Wasser denn trinkbar? Hm.. Ich brauchte auf jeden Fall eines, also habe ich das Leitungswasser genommen so wie mir das die Hausbesitzerin von letzer Nacht gesagt hatte. Dass der Metallkasten vor der Toilette ein Wasserspender war, konnte ich mir im dann erst im Bus erschließen. Wirklich erfrischend war es eben doch nicht.

Überlebt hab ich’s und bin 3,5 Stunden später heil und froh in Kiryat Shmona im Norden angekommen, wo mich Mevin, der Sohn der Familie abgeholt und durch Pecanwald zu meinem Zuhause für die nöchsten 3 Wochen gefahren hat.

Da.

Ich steige aus dem Flugzeug und die Luft ist feucht, wie im Urwald. Nur ist es hier nicht grün, sondern erdig-sandfarben und sonnenüberströhmt. Aus dem Flugzeug war das Land nicht allzu weit überschaubar. Über die kleinen Hügel hab ich mich gefreut, das Relief von Bodenschatzbohrungen in der Landshaft hat mich enttäuscht. Ich laufe zum Flughafeneingang, warte noch kurz, schnupper und schließe meine Augen. Ich bin da. Mit dem Lied „Kipur“ von einer israelischen Sängerin im Ohr ziehen die Leute an mir vorbei um sich bei der Riesenschlange zur Passkontrolle anzustellen, von der ich noch nichts ahne. Nach etwa einer Stunde steige ich zu der noch unbekannten jüdischen Holländerin ins Auto, die mich zu ihrer Unterkunft fährt und lasse mich von den dunklen Konturen am Himmel überraschen. Ich frage, ob das Berge sind. Nein. Wolken. Die Stadt wirkt behangen. Dunst schwebt über ihr. Aha… Es dämmert und wir steigen auf einem kleinen Hügel südlich von Tel Aviv aus dem Auto. Ich packe mein Zeug in mein Zimmer, lege mich auf das Sofa, gebe meiner Familie in Deutschland über meine Ankunft Bescheid, und spüre in mich hinein. Ich bin voll von Gefühlen. Glücklich, aufgeregt, vorfreudig, melancholisch und irgendwie vollkommen in meinem Element. Als kenne ich mich aus und wüsste ganz genau, was jetzt zu tun ist.