Das Leben, ein Projekt. Oder: Die Einsamkeit im Heldentum

Eins haben die Partnerschaften, denen ich begegne, gemein. Sie haben ein gemeinsames Projekt, eine gemeinsame Leidenschaft, ein gemeinsames Ziel. Sie kreieren sich einen Ort, an/mit dem sie sich wohl fühlen. Sie haben kein leichtes Leben, ein Weg mit vielen Hürden, die zu überwinden sind, aber sie sind lebendig. Sie bauen sich die Realität, die sie sich wünschen. Sie trauen sich.

Ich erlebe hier gerade ganz nah, wie es ist, diesem gemeinsamen Ziel zu folgen. Gemeinsam durch harte Zeiten zu gehen. Kein wirkliches Zuhause zu haben. Keinen Platz, wo man sich ganz fallen lassen kann.

Ich bin bei Mor und Tamar, zwei ganz besonderen Menschen. Sie bauen seit 2 Jahren an ihrem Haus. Sie schlafen draußen in einer kleinen Kabine oder im Zelt auf dem Hof. Im Winter tragen sie etliche Schichten an Klamotten und selbst drinnen Gummistiefel, weil die Böden aufgeweicht sind. Sie haben die Küche am einen Ende des Hofes und die Dusche am anderen. Immer kommen Leute. Sie helfen gerne, aber sie blicken auch auf das Projekt wie auf ein Denkmal, eine Touristenattraktion, inklusive denjenigen, die es durchführen. Sie sehen Helden vor sich. Sie sehen nicht die Tränen, den Frust, die Wut, die Angst, die Einsamkeit von zwei Menschen, die ihren ganz eigenen Weg gehen.

Das Haus soll mit der Natur im Einklang sein. Sie wollen es so weit wie möglich aus natürlichen oder recycelten Materialien bauen, daher ist die Grundstruktur aus Lehm. Zusätzlichen Halt geben die etlichen alten Autoreifen, die sie angeschleppt, mit Sand gefüllt und daraus drei der Außenwände gebildet haben. Die vierte Wand wird nur halb hoch und dafür im Kontakt zum Gewächshaus sein, das an das Haus anschließt. Durch das Abwasser aus der Küche und Dusche werden diese Pflanzen genährt. Ihre Energie bekommen sie durch eine Biogasanlage, die an ihre Toilette anschließt. Sie arbeiten mit einem Gärtner und einer Architektin zusammen um dieses sogenannte Earth ship (Michael Reynolds) Realität werden zu lassen. Es ist klein und in einem alten Pferdestall versteckt, denn es entspricht nicht den Bauvorschriften.

Nach ein paar Tagen hier kann ich nachempfinden wie es ist, eine Attraktion zu sein. Ich fühle mich ähnlich bei jeder neuen Person, der ich begegne, die mir sagt, wie großartig mein Hebräisch ist und wie süß ich doch bin. Wie eine Schauspielfigur, deren Skript schon festgelegt ist. Immer wieder auf’s Neue erkläre ich wo ich herkomme, was ich hier mache und warum ich mich für Israel entschieden habe. Dabei sind diese Fragen für mich weit weg von jener Realität. Ich fühle mich weniger Deutsch als irgendetwas anderes (außer bei der Arbeit, ich kann nicht anders als genau zu sein). Und ich vergesse zwischendrin, warum ich eigentlich hier bin, denn mein Grund ändert sich jeden Tag. Es gibt nur eine Konstante, die bleibt: Hebräisch lernen. Wo ich am Anfang über andere Kulturen lernen wollte und wie Konflikte zwischen ihnen aussehen, will ich jetzt einfach hier sein, erleben, und mich selber kennenlernen. Wie im Spiegelkabinett zeigt mir jede neue Person, der ich näher komme, wer ich bin und wie ich wirke. Sie eröffnen mir Türen zu neuen Realitäten, die ich zuvor nur aus Büchern kannte. Sie reden von Themen, die bei mir Magengrummeln auslösen, die ich als Tabu abgespeichert habe. Oder sie zeigen mir ihre Vorstellungen von Beziehungen. Gelebtes Begehren und folglich genauso ein offensichtlicher Streit vor meinen Augen. Wie ein Film. Nur eben Realität.

Auf der Mangoplantage hab ich mich wie Aschenputtel gefühlt. Kein Fortschritt zu sehen, keine Entwicklung. Vielleicht im nächsten Jahr, aber nicht direkt. Alles wird sich wiederholen. Das Unkraut wird nachwachsen. Die Bäume werden auf’s Neue beschnitten werden müssen um genügend Mango zu tragen. Ich arbeite um den Verkauf vorzubereiten. Um dann genug Geld zu verdienen um mir Essen zu kaufen. Das fühlt sich zu einseitig an.

Das gemeinsame Bauen tut mir richtig gut. Wenn ich draußen arbeite, Zement anrühre, auf Wände klettere und ihn in die Lücken fülle, in Erde wühle, Nägel in Holzplatten schlage, Mauern baue und in der Mittagshitze schwitze, geht’s mir gut. Ich habe weniger Hunger, bin wach und energetisch, fühl mich wohl in meinem Körper, habe abends müde Beine und kann die Pausen genießen. Ich bin frei, kann arbeiten so lange ich will, so viel ich will. Ich arbeite zusammen mit anderen, wir reden, wir reden nicht.

Heute wurde ich mir wieder bewusst, dass ich aus der Perspektive einer Reisenden erzähle, die jederzeit weiterziehen kann. Die sich nicht mit den politischen Hintergründen rumschlagen muss, deren Pass überall freundlich gesehen wird. Die immer die Möglichkeit hat, einfach zurück zugehen, wenn sie genug hat und einen sicheren Hafen in Deutschland hat, mit Menschen, die sie lieben und die zu ihr halten. Nur einmal hat hier jemand auf meine deustche Nationalität reagiert, als hätte ich die Schuld geerbt, alle anderen waren großzügig und herzlich. Ein bisschen ist es, als würde ich wie Bastian in eine Geschichte einsteigen, ich erlebe sie in vollen Zügen, ich sauge jeden Moment auf, freue mich über jedes Mittagessen und jeden Granatapfel, über jede Umarmung und nette Begegnung, aber ich bleibe eine Gastfigur, die irgendwann die Bühne wieder räumen wird. Mah ze nisha? Und was bleibt dann?

Resonanz

Ein Wort, das immer mehr Bedeutung in meinem Leben bekommt. Vorallem hatte ich das Wort bisher im Zusammenhang mit Klangkörpern. Wobei ich dabei mehr auf das Wort Klang, als auf den zweiten Teil geachtet habe: Körper. Bzw. Verkörperung von dem, was ich ausstrahle. Vor ein paar Jahren habe ich verstanden, dass beim Gesang das, was ich von mir gebe, in meinem eigenen Klangkörper Resonanz findet (bzw. finden kann wenn ich nicht zu viel Druck gebe, wenn ich eine Einheit bin). Und jetzt erlebe ich die Bedeutung von Resonanz im Kontakt mit Menschen. Nicht mit allen kann ich eine Einheit bilden. Nicht bei allen finde ich Resonanz. Im Hebräischen sagt man: „meshane makom, meshane mazal“ Verändert sich der Ort, verändert sich das Glück. Gestern bin ich wieder zurück ins Zentrum von Israel gefahren und jemand meinte zu mir, ich wirke viel geerdeter. Als wäre ich der Realität begegnet. Wie Recht er doch hat. Ich bin einer Realität begegnet, die ich nicht die meine nennen möchte. Ich wusste von dem ersten Moment an: Dieser Ort wird niemals mein Zuhause sein.

Bevor ich vor einer Woche in die Wüste fuhr, dachte ich noch, dass mein Leben gerade zu sehr einem Traum/ einer Geschichte ähnelte. Es war zu schön um wahr zu sein. Und Bam! Here we go. Endlich, wonach ich mich so lange gesehnt habe. Ich war doch diejenige, die unbedingt DIE KULTUR UND ALLE IHRE SEITEN kennenlernen wollte. Ich bin doch diejenige, die gerne tief eintaucht und Dinge pur und unverpackt erlebt. Da hab ich es! Menschen, die sich anzicken, Vögel, die mich ankacken, Hängematten, für die ich zu schwer bin und Lebensmittel, die meinen Magen in Schach Matt setzen. Nachdem ich wieder einigermaßen auf beiden Beinen stehen konnte, hab ich meinen Sachen gepackt und bin abgezogen. Keine Antsalten, im Laufe des Tages mit dem Auto weggefahren zu werden. Nein. Einfach nur noch weg. Keine Sekunde länger wollte ich bleiben. Weg von dem Ort, der mir meine Kreativität nimmt, wo meine Präsenz schweigsam toleriert wird oder besser gesagt, ich zu jedem möglichen Moment einen giftigen Komentar bekomme. Weg von dem Ort, an dem das Gemüse zu Neige geht und ich verurteilt werde, die letzte Aubergine zu kochen. Weg von dem Ort, an dem ich draußen im Wind sitze und die anderen drinnen mit Ventilator. Es gibt Menschen, mit denen gibt es einfach keine Resonanz. Oder eben eine sehr raue, abgehackte schrille. Kein warmes Gefühl, keine Geborgenheit, kein Genuss vom gemeinsamen Klang. Und? Das ist ok. Ich muss da ja nicht sein. Ich habe alle Möglichkeiten, einfach zu gehen. Ich bin von niemandem dort abhängig. Ich bin niemandem etwas schuldig. Das Einzige was zählt, ist, dass es mir gut geht. Das ist Oberstes Gebot. Und dann kommt der Rest von selber. Dann bin ich bereit, hart zu arbeiten, auch für andere. Sofern ich weiß, meine Hilfe ist deren Glück.

Ich bin nicht nur geerdeter, mein Kopf ist auch viel klarer. Ich arbeite effizienter und sinnvoller, ich weiß, was ich zu tun habe. Ich freue mich Maya und Udi zu helfen bei ihrem Herzensprojekt: Ein Haus aus Lehm zu bauen.

Ich glaube zum ersten Mal ganz bewusst zu erlebt zu haben, wie es sich sich anfühlt, jemandem etwas Schlechtes zu wünschen. Ich hatte einen richtigen Hass auf die Leitung Freiwilligen, wollte Rache schieben, auch wenn ich wusste, dass auch er nur Liebe sucht und irgendwie seinen eigenen Wert vor sich und anderen beweisen muss… Aber ich hab mich dabei nicht schlecht gefühlt. Mir war einfach total klar: Wir passen nicht zusammen. Ich wusste, ich bin nicht falsch. Es liegt nicht an mir, sondern an unseren Gegenpolen, die wie zwei Magnete sich abstoßen.

Ich war so verbunden mit meinem eigenen Bedürfnis, dass ich genau wusste, was ich will. Obwohl es mir nicht wirklich schlecht ging, war mir klar, dass ich bald wieder gehen werde. Die Frage war nur wann. Bis dahin habe ich habe mich fokussiert, auf das, was es gab. Ich habe mich stundenlang vor meine Hebräisch-Hefte gesetzt, mir neue Lernstrategien ausgedacht und mit der anderen deutschen Freiwilligen Christina unsere kleine Oase aufgebaut. Und nachts durfte ich in einer wunderschönen Jurte schlafen mit Lehmboden, einem Gerüst, Netz und getrockneten Palmblättern darauf. Es gab sogar eine Massagebank, auf die ich mich als Probantin für Christinas Massagekünste legen durfte. Beim Aufwachen fiel mein Blick geradewegs auf den Sonnenaufgang und zum Schlafengenen gab ich Kerzenlicht. Nah zur Jurte stand eine Außendusche zu der ich ohne Kleidung gehen konnte. Danach hat mich der Wind getrocknet. Es war egal, ob ich noch Sand an den Füßen hatte wenn ich zur Tür hinein kam, denn in der Wüste gibt es Sand, wie Plastik in der Stadt. Du wirst ihn eh nie los.
Für den Weg zur Küche
hatte ich die Stirnlampe dabei, die mir der Argentinier aus Beit Hilel geschenkt hatte. Ich wurde oft genug gewarnt vor Schlangen und Skorpionen aber nur einmal bin ich einem Tier begegnet, das mich vor Schreck zurückrennen lies. Komplett diffus ist es rumgerannt, wie eine durchsichtige Spinne mit langen Fühlern auf dem Kopf. Oiweiwoi! Ich konnte nicht anders um doch nochmal aus der Tür rauszuluken und mit Faszination zu betrachten, was mir da begegnet war.

Der einzige Shabat, den ich dort verbracht ahbe, war ein besonderer Tag für mich. Ich habe mich auf den Weg gemacht in die Dünen hinein. Hoch hinauf und mit weitem Blick. Nichts anderes als Sand und vertrocknete Wüstenblumen. Im Hinterkopf die Vernunft, die sagt nicht zu weit zu gehen, denn anscheinend sieht die Wüste niemals gleich aus. Jeden Tag bekommt sie eine andere Form und du deine Spuren werden vom Winde verweht. Also genau so weit gehen, dass ich keine Zivilisation mehr sehe, egal in welche Richtung ich blicke, und trotzdem so nah, dass ich weiß, der Stand der Sonne weist mir den Weg zurück.
Auf
dem Weg durch die hellbraune Hügellandschaft bin ich etwas begegnet, das ich so noch nicht kannte. Einem Ort mit so wenig Hall, dass das eigene Geräusch im Wind verfliegt und nichts davon bleibt.
Einer vollkommen trockenen Stille.
Jede Bewegung meines Körpers fühlt sich
ganz nah an und so momentan. Als gäbe es kein vorher und kein nachher. Ich erinnerte mich an meinen Kontrabasslehrer, der in der Klasse einmal fragte, ob wir manchmal eine innere Stille erlebten. Und ich glaube, das kenne ich nur ganz selten. Vielleicht sogar nie. Und hier erst recht nicht. Andauernd bin setze ich mich mit Dingen auseinander, die neu für mich sind. Ich übersetze meine Gedanken ins Hebräische und mein Kopf ist ein Computer, der sich nach Lüftung sehnt. Aber zwischen den Dünen habe ich sie gespürt. Hier konnte ich Ruhe finden. Hier konnte ich mir begegnen. Und zwar meinem Kern.

Ich will gerne nochmal zurück in den Süden. Eine Wanderung machen für einen ganzen Tag, dort entlang laufen und dem Nichts begegnen. Ich muss an Bastian aus der unendlichen Geschichte denken. Alles was in der Wüste an einem Tag passiert ist, ist in der Nacht wieder verschwunden. Jeder Tag war wie ein Neuanfang…. Ich denke viel an die Unendliche Geschichte und an die Wünsche, die uns leiten. Vielleicht ist das auch eine Art Resonanz. Ich weiß jetzt zumindest noch besser, für wen ich gerne arbeite, wer mir gut tut und wer mir einfach egal ist.

WüstenGrüße

Endlich ist es soweit. Ich bin mitten in der Wüste!
Ich stolpere aus dem Bus, die Hände voll mit Vokabelheft, Nüssen, Wasser und Geige. Schnell hol ich noch den Rucksack raus, dann seufzt der Bus, die Türen gehen zu und ich bleibe alleine zurück.
Ich stehe da, mein Zeug verstreut im Sand und mein Blick in der Weite.

Um mich herum ist nichts außer ein paar Strommasten und einer Tankstelle. Und eine Bushaltestelle, aus Beton gebaut und mit einem deutschen Wort verziert: “Verbunden”.

Genauso fühle ich mich gerade. Verbunden mit den Menschen, die ich in den letzten Wochen kennengelernt habe, mit der Natur und mit meinen Sinnen. Alles fühlt sich richtig an.

Schon von Weitem erkenne ich das Auto, das mich zu meinem nächsten Zuhause bringen soll. Ein nettes Gesicht begrüßt mich. Wir fahren durch die leeren Straßen, ab und zu kommt uns ein Auto mit jungen Soltaden entgegen. Wir kommen bei der Farm an und meine romantischen Gedanken an die Wüste verfliegen in Sekundenschnelle. Vor meinen Augen Coca Cola, eine Bong, Bier, laufende TV-Serien auf den Handys, trübe Gesichter. Ich mache den Kühlschrank auf und mir kommt der Geruch von Tunfisch entgegen. Die Leute sind nett.. Glaub ich… Anders… Also sie sind wirklich nett. Aber auch wirklich anders… Ich bin überrumpelt und ziehe mich zurück, packe mein Tagebuch auf und denke nach, mit wem ich reden könnte. Wie würde mich verstehen…?

Die letzten Wochen hatte ich das Gefühl, Dingen zu begegnen, die mit meinen Sehnsüchten und inneren Wünschen resonieren. Der Umgang mit den Menschen war achtsam, interessiert und ehrlich. Das Leben sehr einfach, und doch so erfüllend. Ich denke an die letzten Tage in Olesh zurück… Gestern früh war ich recht früh aufgewacht und noch im Bett habe ich Geige gespielt und gesungen. Dann bin ich gemeinsam mit Mor zur Außenküche gelaufen, um unser Frühstück vorzubereiten. Weiter ging es durch eine Olivenbaum-Passage zu einem sumpfigen Teich. Beim Berührend es Bodens kamen immer weider Blasen an die Wasseroberfläche. Wir haben uns gegenseitig mit Schlamm eingerieben und die Libellen beobachtet. Mors dunkle Augen sahen traurig aus.
Raus aus dem Teich und rein in die Dusche zwischen Bananenbäumen. Dann auf einen Feigenbaum geklettert (anscheinend war es kein Apfel, den Adam gegessen hat, sondern eine Feige – ich bin dem Gerücht noch nicht weiter auf den Grund gegangen) und auf dem Weg noch einen Granatapfel gepflückt. Barfuß Hand in Hand zurück zum Haus durch den Sand. Währenddessen konnte iche s kaum glauben. Ich kam mir vor wie im Paradies.

Und jetzt scheint diese Zeit vorbei zu sein. Ich stehe dunklen, unglücklichen Gesichtern gegenüber.

Wenn ich nicht am Reisen wär

Ich frage mich, wie ich diese Orte wahrnehmen würde, hätte ich täglich Verpflichtungen und müsste für mein Geld kämpfen. Könnte ich es genauso genießen? Würde ich mich genauso frei fühlen?
Seit 10 Jahren (mit dem Beginn der Regierung von Netanyahu) wird es hier
finanziell immer schwieriger. Alles Land ist verkauft und die Mieten steigen. Das Leben ist einfach fucking teuer.

In meiner Unbeschwertheit und finanziellen Unabhängigkeit kann ich das Land genießen, wie ich es selten irgendwo erlebt habe. Ich begegne lauter Menschen, die sich diesem Schicksal widersetzen und sich alternative Lebensweisen aufbauen. Sie suchen den Kontakt zur Natur und inspririeren mich mit ihrem Wissen über Pflanzen und natürlichen Baumethoden, ihren Ideen über Ernährung und Umgang mit dem Gegenüber. Sie sind offen und ehrlich in ihrer Art zu kommunizieren und zeigen Mut, einen Weg zu gehen, der ihren Bedürfnissen entspricht.

Immer wenn ich in die Stadt nach Ramat Gan fahre bin ich kurz irritiert. Alles scheint viel schwieriger, liebloser. Keine der Wohnungen, die ich bis jetzt besichtigt hatte, spricht mich wirklich an. Nirgends fühle ich mich wirklich wohl. Und das Verkehrssystem macht mich wahnsinnig.

Ich bin wieder einmal auf Wohnungssuche. Bepackt mit meinem Rucksack, weiß nicht, wo ich die Nacht schlafen soll. Ich bin schon stundenlang unterwegs mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weil ich immer wieder an der falschen Haltestelle zu stehen scheine oder mir der Bus vor der Nase weg fährt. Jetzt habe ich endlich die richtige Haltestelle gefunden. Es ist heiß und ich bin einfach nur müde. Der Bus kommt und ich bin so überrascht über sein Auftauchen, dass ich total unvorbereitet mein Zeug in meine Arme stopfe und mir alles aus den Händen fällt. Während ich dabei bin, die Dinge wieder aufzuklauben, seufzt der Bus und fährt er weiter. Nochmal 20 min zu warten. Ich kann nicht mehr. Wieso ist das so schwierig?
Ich denke darüber nach, dem Typen mit der Hundewohnung zuzusagen. Es fühlt sich nicht richtig an, aber es scheint keine Alternative zu geben. Ich hole mein Handy raus und stecke es wieder weg. Jetzt gehe ich erstmal Hummus essen, Tagebuch schreiben, mein Handy aufladen und Energie tanken. Und dann sehen wir weiter.

Am späten Nachmittag besuche ich eine weitere potentielle Mitbewohnerin (40 Jahre alt). Es ist nett und irgendwie gleich sehr normal. Die Wohnung ist mit dunklen Möbeln bestückt, der Boden aus kaltem Stein. Kaum etwas Persönliches steht rum. Schnell ist klar, dass männlicher Besuch nicht gerne gesehen ist. Die Wohnung ist nur für Frauen. Und wenn ich frage, was für sie ein respektvolles Zusammenleben ist, sieht sie keinen Grund das weiter zu erläutern. Sie meint, wir wüssten doch alle, was respektvoll ist und was nicht…
Trotzdem verabschiede ich mich zufrieden. Auch sie wirkt wie eine super nette, offene und warme Person, die mich mit einer kräftigen Umarmung verabschiedet.
Also mache ich mich auf den Weg zu einer letzten Besichtigung. Als mir die Wohnungstür geöffnet wird und mein Blick auf die total schrägen Schallplatten-Recycling-Bilder an der Wand werfe, ist mir sofort klar, dass ich hier einziehen werde. Ich bin so froh, durchgehalten zu haben um wirklich das zu finden, wo ich mich wohl fühle.

Zauberschmaus #3

Jeden Morgen gibt es bei mir erstmal 2-3 Mangos. Dann nach der Arbeit einen Salat aus Tomaten und Gurken mit einer Sosse aus Tahin, Wasser und Zitrone. Wer es besonders aromatisch will, haut noch Knoblauch und Olivenöl rein. Diese zwei Elemente sind quasi die Standardbeilage zu jedem Essen. Bei mir gibt’s das dann mit Quinoa oder Buchweizen-Quinoa-Pfannkuchen und angemacht mit Granatafelsirup. Dazu zum Abschluss Choko-SumSum, in Mischgetränk aus Carob, Sesam, Wasser und Dattel – Spezialrezept der Familie. Gestern Mittag gab es eine eine ganz besondere Ausnahme: Weizenfladen mit Zatar.

Zatar (Satar – ausgesprochen mit stimmhaftem) ist eine Pflanze, die aus der Thymian-Familie kommt und gerne mit Sesam, Salz, Olivenöl und Zitrone gemsicht wird. Dann wird sie auf alles mögliche geträufelt; bei den Druz gibt es ihn mit Käse, und hier eben auf arabischem Pfannkuchen. Sau lecker! und da ich in Beit-hilel mehrere Stunden damit verbracht habe, Zatar vom Stiel zu entfernen, schätze ich das Gewürz umso mehr.

Wenn ich all diese Dinge in Deutschland essen würde, käme ich mir wie eine Königin vor. Bzw. Ich korrigiere mich: Ich fühle mich wie eine Königin. Auch hier. All die Früchte, die Gewürze, das frische Gemüse und die Nüsse…
Ich genieße sie jeden Tag!

Da Israel hauptsächlich von der Religion als Kultur geprägt ist, gibt es eigentlich keine typischen national-Spezialitäten oder Bräuche. Das kulturelle Erbe entspringt der Torah und den Bräuchen des Judentums. 

Ist das in Deutschland so anders? Wenn ich an Weihnachten und Ostern denke, unsere größten Festlichkeiten, fällt mir auf, wie tief das Christentum verankert ist. Der Kalender richtet sich danach. Die Geschäfte. Die Musikant*innen. Sogar meine halb-türkische Freundin feiert Weihnachten…

Die meisten Nicht-Gläubigen nennen sich trotzdem Juden, denn das ist die Kultur, mit der sie sich verbunden fühlen und dessen Traditionen sie folgen. Und ich glaube, was nicht zu unterschätzen ist: so werden sie auch von der Außenwelt gesehen. Einmal Jude, immer Jude…

Jeden Samstag wird hier Shabbat gefeiert. Es ist, als würde die Welt für einen Moment stehen bleiben. Keine Busse, keine Geschäfte; das ganze Land auf Pause. Es war Teil der Abmachung bei der Gründung eines jüdischen Staates. Doch viele der jungen Leute, größtenteils in Tel Aviv, willen diese Tradition immer mehr loslassen. Also gibt Nachtbusse, die von Arabern gefahren werden und die Clubs sind geöffnet.

Umso länger ich hier bin, umso mehr Schichten zeigen sich mir auf.  Es gibt jüdische Zionisten (Verfechter des Staates Israel), jüdische Haridim (extrem Gläubige, manchmal sogar gegen einen Israelischen Staat), jüdische Agnostiker/Atheisten, jüdische Traditionsverfolger, jüdische Anarchist*innen, Kapitalist*innen, Kommunist*innen, Patriarchist*innen, usw. Und natürlich bringt jede Familie ihre eigenen Bräuche mit, je nachdem, woher sie ursprünglich kommen. Hummus und Falafel (urspruenglisch aus arabsichen Staaten des Mittleren Osten), so wie auch die “Hand der Fatima” oder eben hier “Hamsa” genannt, werden die neuen Symbole Israels. Sogar Brezn gibt es zu kaufen.

Trotz dieses Patchwork-Konstrukts spüre ich einen Zusammenhalt, die Menschen teilen etwas in ihrem Verhalten. Sie wirken neugierig und offen für neue Einflüsse bei dieser Suche nach dem Eigenen, Einzigartigen. Es kann weh tun, zu sehen, wie sie sich das kulturelle Erbe anderer zu eigen machen und ich verstehe die Kritik daran. Aber wenn ich durch die Straßen laufe, fühle ich mich irgendwie zuhause… Ich mag dieses zusammengewürfelte chaotische Etwas.

Zakén im Zakán

Die meiste Zeit verbringe ich mit Henk, dem „alten Mann mit Bart“, wie er sich selber schmunzelnd nennt während er seinen Rotbart krault. Mit seinen 40 Jahren ist er gar nicht so alt, doch seine Glieder sind schwer und sein Rücken tut weh. Er ist eine ganz besondere Person für mich, wie ein persönliches Radio, dessem Sender ich so gerne zuhöre. Heute begleitet er mich zur Arbeit und während ich Bäume zuschneide singt er mir Lieder vor. Wir reden über das Leben im Einklang mit der Natur, über Aktivismus, über Wut und Freude, über (Selbst-)Liebe und Witz. Henk übersetzt mir die Liedtexte und erklärt mir Zusammenhänge von Wörtern, ihre Hochzeiten in der Geschichte und ihre implizierte Bedeutung. Mit ihm beginne ich so richtig hebräisch zu lernen. Hamoré ahi tov baolam! Der beste Lehrer der Welt! Aber warum?

Die meisten Israelis, die ich kennengelernt habe, sind nicht sehr geduldig. Sie sind schnell, viel beschäftigt und warten ungern darauf, bis ich in unendlich langsamen Tempo meinen Satz zu Ende formuliert habe. Während ich rede, fangen sie meistens schon an, das nächste Thema anzureißen, beenden meinen Satz oder schweifen mit den Gedanken ab. Obwohl ich bewundert werde für mein Sprachtalent und den Spitznamen „Wortmaschiene“ bekommen habe, reden sie weiter auf englisch. Nur Henk nimmt sich wirklich Zeit. Er erzählt von dem Ursprung des Wortes und in welchem Kontext es benutzt wird. Er lässt mich ausreden, beantwortet meine Fragen prezise und sorgfältig und nutzt sie als Inspiration um mir allerlei Dinge zu erzählen, die mich, ihn oder irgendwen interessieren könnten. So kommen wir auf das Wort Pionier zu sprechen. Erst, als ich erfahre, dass es stark assozitiert wird mit denjenigen, die sich auf Feldern im jetzigen israelsichen Gebiet niedergelassen haben, verstehe ich seine Alltagsrelevanz. Als ich vor ein paar Monaten in Enschde online Vokabeln gelernt habe, habe ich genervt auf „weiter“ geklickt, als Wörter wie Rakete und Wächter vorkamen. Ich wusste nicht, wie viel ich sie noch nutzen würde.

Henk führt fort mit dem Ursprung des Wortes Revolution, welcher mahapech – upside-down ist. Als Binyamin Nitanyahu seine Präsidentschaft anging, wurde das Wort mahapech eingeführt – Umkehrung eingeführt um den radikalen Wandel von einer moderat linken Regierung zu einer nationalistischen Mehrheit zu beschreiben. A pro pro, in 2 Wochen sind Wahlen.
Seinen Geschichten ist zu entnehmen, dass er
eine Zeit lang öffentlich politisch aktiv war und er bringt mir einen Slogen bei, den sie bei Demonstrationen immer gerufen haben: Jehuvim vearavim mesarvim lehiot ohivim.” Jews and arabs refuse to be enemies. So langsam, wie ich das nochsage, würde mir sicher niemand zuhören auf der Demo, aber ich bin froh für die Inhalte, die er für mciha uswählt. Noch dazu erfahre ich, dass Oivei –Feind von dem jiddischen Ausdruck Oiveivoi kommt, was wir im Deutschen als Owei kennen. Wie soll Ich da denn keine Freude am Sprachen lernen bekommen?

Ich freue mich sehr über diesen warmen Kontakt mit Henk, er fühlt sich ehrlich an und als ob wir es beide genießen. Er ist wie ein Bruder für mich. Wir singen zusammen im Mondlicht (Or jareach) und spielen für- und miteinander. Zwischendrin frage ich nach Wörtern, die mir im Kopf herumkreisen. Das Sprache lernen hält mich den ganzen Tag wach, und nicht immer fällt es mir leicht beim Schlafen den Lernprozess zu drosseln.

Aber immerhin. Langsam fängt die Sprache an, greifbar zu werden. Ich verstehe die Logik dahinter und inwiefern sich die Wörter verändern bei verschiedenen Funktion im Satz. Aber ganz ehrlich, es ist immer noch Chaos. Alle Wörter klingen gleich. Das Alphabet hat nur 22 Buchstaben, wovon einige sich klanglich nicht oder nur kaum unterscheiden, da seit dem Neuaufleben der Sprache und ihrer Alltagsnutzung die arabischen Einflüsse in der Aussprache für diese Buchstaben in Vergessenheit geraten sind.

Die zwei Wörter, das ich glaube ich am meisten gehört habe, sind: Rote Ameisen. Wir haben ein kleines Lied darüber geschrieben: nimalim adumot al hamichnasaim scheli. Rote Ameisen auf meiner Hose. Sie sind überall und sie brennen wie Hölle. Egal wo du sitzt, nach ein paar Sekunden beginnt es zu schmerzen auf der Haut. Ich würde so gerne draußen schlafen, aber auch das ist von Feuer geprägt. Also eben doch die mit Klimaanlage belüfteten Räume. Ich hätte nie gedacht, dass ich Klimaanlagen so schätzen lernen würde. Die Hitze im Sommer kann einem echt den Kopf verdrehen. Wenn die Sonne hoch steht, wird plötzlich alles traurig, schwer und müde. Die Motivation ist weg, der Kopf leer.
Das Einzige was hilft ist Wasser. Nach dem Eintauchen und Abkühlen ist die Welt eine andere. Mein amerikanischer Gefährte kannte das Geheimnis nicht und lag ständig mit Kopfschmerzen im Bett.
Als er meinen Tipp ausprobierte, war er mehr als überzeugt. Es ist interessant, mit was für Dingen wir uns auseinander setzen, wenn wir mit solchen Extremen zu tun haben. Ich fange an, sehr bewusst auf mich selber zu hören. Was brauche ich gerade? Essen, Schlaf, Bewegung, Abkühlung? Erst das Grundbedürfnis erfüllen. Dann darf ich etwas „Sinnvolles“ tun. Ich merke, wie ich ein besseres Gespür dafür entwickele, was ich brauche. Seit Wochen bin ich ziemlich glücklich und zufrieden.

 

Letztens wurde ich kurz völlig aus der Bahn geworfen von der ersten Frau, die ihre Bisexualität offen mir gegenüber gezeigt hat, seit ich hier bin. Aber irgendwie habe ich schnell gemerkt, was gerade passiert und konnte mir das holen, was ich brauchte um mich zu beruhigen.

Es ist schön, mich selber zu beobachten, wie ich imer klarer in meinem Bewusstsein und in meinen Bedürfnissen werde und dementsprechend handeln kann. Ich spüre mehr Vertrauen für meine eigenen Ressourcen und Fähigkeiten und verurteile mich weniger für die Dinge, die mir manchmal im Weg zu stehen scheinen. Klar gibt es Momente, in denen ich mich nicht ausbalanciert fühle, doch sie wirken weniger überfordernd und einschnittig. Wie ein Pendel fühl ich mich, das die Extreme zwar kennt, aber nicht mehr so lange dort verweilt und alles nicht ganz so ernst nimmt. Das Leben ist ein Spiel, zitiert Mama immer wieder.

Noch ein kleiner Augenschmaus.

Weiterziehen

Das ist wohl das, was eine Reisende ausmacht. Oder eine Suchende. Je nachdem. Mein neues Zimmer teile ich mit einem US-Amerikanischen Freiwilligen geteilt. Er ist losgezogen um herauszufinden, was ihm wirklich Freude bereitet anstatt stumpf das weiterzumachen, wovon er weiß, dass er es kann. Doch jetzt sieht er müde aus, vom kommen und gehen, begrüßen, kennenlernen, verabschieden und immer wieder von Neuem anfangen.

Ab dem ersten Moment prankt AMI auf seiner Stirn. Seine übertriebene Aufgeschlossenheit nervt mich schon bevor ich davon überhaupt genug mitbekommen habe. In dem Moment, in dem das wahrnehme, entscheide ich mich, ihn mit offenen Augen anzusehen und zu versuchen, hinter die trennende Schicht zwischen uns zu schauen. Er erzählt von seiner schönsten Kindheitserinnerung, wo er sich mit seinem Bruder mit Schlamm beschmeist und eine Riesensauerei macht. Er fragt nach einer Umarmung und bedankt sich für unsere Begegnung. Langsam wird der Blick frei auf einen Menschen so wie ich es bin. Reisend, auf der Suche.

Ich bin in Ramot. Ein Ort am Gallilee Sea. Jeden Morgen um 6 geht’s los zum Mango-Bäume beschneiden. Der Landwirt kennt seine Bäume in und auswendig und er beobachtet von Jahr zu Jahr, wie sie sich verändern, was ihnen gut tut, was nicht… Endlich verstehe ich, warum Baumschnitt betrieben wird und die Äste nicht einfach wild vor sich hin wachsen; zumindest wenn man große Massen verkaufen will. Einige Zweige werden abgeschnitten, um die Kraft und Energie auf andere zu konzentrieren. Wenn zu viele Wachstumsmöglichkeiten da sind, dann bekommen die einzelnen Enden nicht genug Energie aus dem Baum und nicht genug Licht und bilden keine Früchte aus oder nur sehr kleine. Zentriertes Denken, irgendwie ähnlich wie unsere Gesellschaft heutzutage funktioniert… Spazialisten über Spezialisten.

Ganz im Gegensatz zu der Familie des Landwirts, bei der ich unterkomme. Sie leben sehr nah zur Natur und kennen sich mit verschiedensten Dingen aus, die zur Selbstversorgung beitragen. Manchmal kommen sie mir gar dogmatisch vor, und wenn ich mir erlauben darf zu urteilen hat sich wohl daher ihr Traum, eine Community zu bilden, noch nicht verwirklicht. Die Kinder der Familie gehen nicht zur Schule, sondern bekommen zuhause das beigebracht, was sie neugierig macht. Wenn sie doch irgendwann in die Schule gehen möchten, dürfen sie das selber entscheiden. Bis dahin sollen sie lernen, was sie gerade lernen wollen und das tun, mit dem sie sich beschäftigen möchten. Und sei es, dass sie dann viel vor dem PC sitzen oder eben wie heute zusammen mit Mama Gnocci machen und bei ner Poolparty-Spritzaktion den ganzen Bereich vor dem Haus unter Wasser setzen. Sie sind so viel Kind, wie mensch Kind nur sein kann.

Mal wieder ist es eine Argentinierin, die hier wohnt. Sie hat jedoch wenig mit den Argentinier gemein, die ich kennengelernt habe, als ich dort gelebt habe. Sie isst alles roh und nur vegan und alle genutzten Produkte sind selber hergestellt oder zumindest von natürlichen Herstellern. Als ich dort war, war das kurz vor dem Glyphosphat Skandal und ich hatte zwei mal pro Tag ein Stück Fleisch auf meinem Teller.

Wenn ich mich umschaue, dann hat die Familie aber grundsätzlich wohl eine sehr gegenstätzliche Einstellung zum Leben, als alle anderen hier in der Umgebung. Ihre Mango Plantage liegt etwas abseits von den anderen. Diese haben schon vor zwei Monaten die Mangos geernet, alle noch grün und in einem Rutsch. Das Problem ist, dass die Mangos beim Trennen vom Ast, einen brennenden weißen Saft ausstoßen und dieser wird umso weniger, umso reifer sie sind beim Moment des Pflückens. Also haben enorm viele der angemieteten ArbeiterInnen auf den anderen Farmen allergische Reaktionen am ganzen Körper gezeigt. Bei uns gab es keine. Wir gehen jeden Tag auf’s Neue über die Plantage und schauen, ob fast reife Mangos dabei sind. Also sind wir erst vor ein paar Tagen fertig geworden mit dem Pflücken. Während wir also mit dem Baumschnitt beschäftigt sind, wird ein paar Hundert Meter weiter ein völlig verrücktes Spiel durchgeführt, was anscheinend den Ursprung fast all unseres Obstes beschreibt: Veredelung. Der starke Stamm mit tiefen Wurzeln (zum Beispiel eine Sorte, die wenig Wasser braucht) wir von seinen Ästen komplett befreit und in die Schnittstellen werden neue Äste einer anderen Sorte (zum Beispiel mit großen süßen Früchten) eingepflanzt. Nach dem Motto, best of both worlds. Es schaut so irreal aus. Die Enden sind mit Alufolie umkleidet und der Stamm weiß angemalt, damit er nicht austrocknet.

Was mich wohl am meisten glücklich macht: Es gibt Komposttoiletten! Sie sind mir ein solches Vergnügen! Ich fühl mich sauber nach dem Klogang und nicht ganz so sehr wie ein Fremdling auf Erden. Ich muss meine Reste nicht wegspülen in ein System von Kläranlagen, sondern decke sie mit Sägespäne ab und lasse sie wieder Teil der Erde werden. Es tut gut zu sehen, was alles möglich ist und es ist deutlich, wie viel Herzblut und Überzeugung dahinter steht. Ich wünsche mir, ihre Werte wären mehr Normalität und ihr kleines Paradies müsste nicht so wehement verteidigt werden. Denn manchmal spüre ich einen Dogmatimus hindurch, der abschreckt und mich nicht wundern lässt, dass sie noch niemanden gefunden haben, der Teil ihrer Kommune werden will…

Fragen stellen

Maher ist wieder mal bei uns zu Besuch und bringt zwei frische Mangos mit. Ein Freund hat sie ihm mitgegeben. Er kennt die Arbeiter, die jeden Tag nach Ramot fahren und dort beim Mangos pflücken helfen. Ramot ist der Ort, zu dem ich in zwei Tagen zum Mangos pflücken fahre. Also gibt es zum Frühstück schon mal eine kleine Einstimmung auf das, was bald kommt.

Ich bekomme ein flaues Gefühl im Bauch. Ich werde diesen Ort hier sehr vermissen. Ich habe mich entschieden, weiter zu gehen, weil ich das Gefühl hatte, es wäre Zeit. Als hätte ich hier mitgenommen, was es zu lernen gab und als bräuchte ich einen neuen Ort um weiterzukommen. Jetzt wo es soweit ist, fühlt es sich aber ganz anders an. Heute habe ich meinen ersten Töpferunterricht gehabt und abends habe ich Noam wieder getroffen. Wir hatten einen super schönen Abend zusammen mit seiner Partnerin. Es gab Linsen und Reis, Hummus und Salat. Seit ein paar Tagen klappt das Hebräisch lernen auch viel besser. Ich habe eine neue Lern-Taktik. Ich nehme Wörter immer auf, höre sie imer wieder an und spreche mit, während ich Unkraut jäte oder Granatäpfel mit Papiertüten umhülle. Ihr wisst schon, was mensch halt so macht. Außerdem beginne ich oder die Familie öfter das Gespräch auf Hebräisch und es findet sich eine Balance. Außerdem habe ich nachgefragt, ob es sie denn störte wenn ich andauernd nach Übersetzungen frage. “Nein, wenn wir Zeit haben ist es kein Problem. Aber wenn wir gerade beschäftigt sind, dann ist es schwierig.” Logisch eigentlich. Aber für mich war es wichtig zu hören. Ich hatte gespürt, dass es manchmal genervt hat. Aber dass das nicht heißt, dass es grundsätzlich stört, war mir irgendwie entgangen in meiner Interpretation. Zum Beispiel beim Frühstücken Raum oder beim gemeinsamen Putzen des Ateliers. Ranon findet es ganz super mir richtig unnötige Dinge wie “Hummus aus der Schale kratzen” beizubringen.

Ich bin froh, dass ich nachgefrat habe, anstatt mich zu verkriechen. Als ich gemerkt habe, ich werde unzufrieden, habe ich erkannt, dass ich dem Rhythmus der anderen folge und meinen eigenen noch nicht gefunden habe. Also habe ich mich dazu entscheiden, die Arbeit nicht an erste Stelle zu setzen, mehr für mich zu tun, den Fluss zu nutzen um mein Gehirn wieder wach zu rütteln und die Musik, um meine Kreativität auszuleben.

Mevin ist mir dabei ein großes Vorbild. Er weiß einfach immer, was er in diesem Moment machen will. Mir ist aufgefallen, wie viel Zeit ich damit verbringe, drüber nachzudenken, was ich als nächstes machen soll, muss… Also ist mein neues Motto, immer ganz genau hinzuspüren, was sich im Moment richtig anfühlt. Ich will dem nachgehen, auch wenn das heißt, dass es keinen Punkt auf der To-Do-Liste erfüllt und einfach nur “Flusswasser genießen und dasitzen” heißt.

Mit dem Blick auf den Abschied, ist mir eines ganz deutlich jetzt. Ich habe hier eine Familie gefunden, die ich immer besuchen kann; bei denen ich mich wohl fühle. Sie haben mich auch zu den Feiertagen eingeladen in zwei Monaten, also dauert es nicht lange bis zu einem Wiedersehen!