Eins haben die Partnerschaften, denen ich begegne, gemein. Sie haben ein gemeinsames Projekt, eine gemeinsame Leidenschaft, ein gemeinsames Ziel. Sie kreieren sich einen Ort, an/mit dem sie sich wohl fühlen. Sie haben kein leichtes Leben, ein Weg mit vielen Hürden, die zu überwinden sind, aber sie sind lebendig. Sie bauen sich die Realität, die sie sich wünschen. Sie trauen sich.
Ich erlebe hier gerade ganz nah, wie es ist, diesem gemeinsamen Ziel zu folgen. Gemeinsam durch harte Zeiten zu gehen. Kein wirkliches Zuhause zu haben. Keinen Platz, wo man sich ganz fallen lassen kann.
Ich bin bei Mor und Tamar, zwei ganz besonderen Menschen. Sie bauen seit 2 Jahren an ihrem Haus. Sie schlafen draußen in einer kleinen Kabine oder im Zelt auf dem Hof. Im Winter tragen sie etliche Schichten an Klamotten und selbst drinnen Gummistiefel, weil die Böden aufgeweicht sind. Sie haben die Küche am einen Ende des Hofes und die Dusche am anderen. Immer kommen Leute. Sie helfen gerne, aber sie blicken auch auf das Projekt wie auf ein Denkmal, eine Touristenattraktion, inklusive denjenigen, die es durchführen. Sie sehen Helden vor sich. Sie sehen nicht die Tränen, den Frust, die Wut, die Angst, die Einsamkeit von zwei Menschen, die ihren ganz eigenen Weg gehen.
Das Haus soll mit der Natur im Einklang sein. Sie wollen es so weit wie möglich aus natürlichen oder recycelten Materialien bauen, daher ist die Grundstruktur aus Lehm. Zusätzlichen Halt geben die etlichen alten Autoreifen, die sie angeschleppt, mit Sand gefüllt und daraus drei der Außenwände gebildet haben. Die vierte Wand wird nur halb hoch und dafür im Kontakt zum Gewächshaus sein, das an das Haus anschließt. Durch das Abwasser aus der Küche und Dusche werden diese Pflanzen genährt. Ihre Energie bekommen sie durch eine Biogasanlage, die an ihre Toilette anschließt. Sie arbeiten mit einem Gärtner und einer Architektin zusammen um dieses sogenannte Earth ship (Michael Reynolds) Realität werden zu lassen. Es ist klein und in einem alten Pferdestall versteckt, denn es entspricht nicht den Bauvorschriften.
Nach ein paar Tagen hier kann ich nachempfinden wie es ist, eine Attraktion zu sein. Ich fühle mich ähnlich bei jeder neuen Person, der ich begegne, die mir sagt, wie großartig mein Hebräisch ist und wie süß ich doch bin. Wie eine Schauspielfigur, deren Skript schon festgelegt ist. Immer wieder auf’s Neue erkläre ich wo ich herkomme, was ich hier mache und warum ich mich für Israel entschieden habe. Dabei sind diese Fragen für mich weit weg von jener Realität. Ich fühle mich weniger Deutsch als irgendetwas anderes (außer bei der Arbeit, ich kann nicht anders als genau zu sein). Und ich vergesse zwischendrin, warum ich eigentlich hier bin, denn mein Grund ändert sich jeden Tag. Es gibt nur eine Konstante, die bleibt: Hebräisch lernen. Wo ich am Anfang über andere Kulturen lernen wollte und wie Konflikte zwischen ihnen aussehen, will ich jetzt einfach hier sein, erleben, und mich selber kennenlernen. Wie im Spiegelkabinett zeigt mir jede neue Person, der ich näher komme, wer ich bin und wie ich wirke. Sie eröffnen mir Türen zu neuen Realitäten, die ich zuvor nur aus Büchern kannte. Sie reden von Themen, die bei mir Magengrummeln auslösen, die ich als Tabu abgespeichert habe. Oder sie zeigen mir ihre Vorstellungen von Beziehungen. Gelebtes Begehren und folglich genauso ein offensichtlicher Streit vor meinen Augen. Wie ein Film. Nur eben Realität.
Auf der Mangoplantage hab ich mich wie Aschenputtel gefühlt. Kein Fortschritt zu sehen, keine Entwicklung. Vielleicht im nächsten Jahr, aber nicht direkt. Alles wird sich wiederholen. Das Unkraut wird nachwachsen. Die Bäume werden auf’s Neue beschnitten werden müssen um genügend Mango zu tragen. Ich arbeite um den Verkauf vorzubereiten. Um dann genug Geld zu verdienen um mir Essen zu kaufen. Das fühlt sich zu einseitig an.
Das gemeinsame Bauen tut mir richtig gut. Wenn ich draußen arbeite, Zement anrühre, auf Wände klettere und ihn in die Lücken fülle, in Erde wühle, Nägel in Holzplatten schlage, Mauern baue und in der Mittagshitze schwitze, geht’s mir gut. Ich habe weniger Hunger, bin wach und energetisch, fühl mich wohl in meinem Körper, habe abends müde Beine und kann die Pausen genießen. Ich bin frei, kann arbeiten so lange ich will, so viel ich will. Ich arbeite zusammen mit anderen, wir reden, wir reden nicht.
Heute wurde ich mir wieder bewusst, dass ich aus der Perspektive einer Reisenden erzähle, die jederzeit weiterziehen kann. Die sich nicht mit den politischen Hintergründen rumschlagen muss, deren Pass überall freundlich gesehen wird. Die immer die Möglichkeit hat, einfach zurück zugehen, wenn sie genug hat und einen sicheren Hafen in Deutschland hat, mit Menschen, die sie lieben und die zu ihr halten. Nur einmal hat hier jemand auf meine deustche Nationalität reagiert, als hätte ich die Schuld geerbt, alle anderen waren großzügig und herzlich. Ein bisschen ist es, als würde ich wie Bastian in eine Geschichte einsteigen, ich erlebe sie in vollen Zügen, ich sauge jeden Moment auf, freue mich über jedes Mittagessen und jeden Granatapfel, über jede Umarmung und nette Begegnung, aber ich bleibe eine Gastfigur, die irgendwann die Bühne wieder räumen wird. Mah ze nisha? Und was bleibt dann?