Es stinkt im Studio

Jetzt will ich einfach mal erzählen. Von jenem und solchem. Tadita “the running one” ist die Mutter der Familie und diejenige, die Energie und Wärme ins Haus bringt. Sie ist Keramikerin und hat im Gartenhaus ihr eigenes Studio. Es ist aus Holz gebaut und in zwei Räume aufgeteilt; eines für den Verkauf und eines für die Kreation. Bei der Eingangstür steht ein Brunnen aus Ton-Armen geformt. Die Wände in der kleinen Spülküche im Vorraum sind mit zerbrochenem Geschirr beklebt und erinnern an Mosaik. Die Farben gehen wie im Rest des Hauses in Richtung pastell. Es ist ruhig. Tadite macht das Licht an und mein Blick fällt auf die Spinnenweben. Wir machen uns an die Arbeit.

Ich packe mir einen Stuhl und räume von den höchsten Regalen. Staubwedle, fege, wasche Ton aus den Tüchern, ordne neu und frage sie eindrücklich, welche Dinge sie denn wirklich noch brauche.

Das Studio ist wie ein kleines altes Hexenhäuschen. Voll von Geheimnissen, Mäusekacke und Geschichten. Gerade will ich eine Bank wegräumen, da huscht etwas an meinem Blick vorbei und ich erkenne etwas Zappelndes auf dem Boden. Daneben ein kleines Tier. “Scheiße, der Salamander! Aber was ist das kleine Teil neben ihm? Hab ich ihn kaputt gemacht? Hat er ein Baby bekommen?”

Tadita kommt zu mir und erklärt mir, dass Salamander ihre Schwänze abwerfen, um von sich abzulenken bei Gefahr. Dann sind sie ganz ruhig und der Schwanz zappelt weiter. Bam! Hat geklappt. Ich liebe es von solchen Dingen überrascht zu werden. Es zeigt mir, wie unglaublich viel es noch zu entdecken gibt. Ich sauge zufrieden noch letzte Dinge weg, unter anderem ein dunkles plattes Ding und präsentiere Tadita meinen Fortschritt. Wir beenden die Arbeit für heute. Am nächsten Tag stinkt der Staubsauger. Ich habe wohl einer toten Ratte ein Zuhause geschenkt.

Hat wer Recht? #2

Das Radio läuft. Wir räumen den Frühstückstisch ab und Tadita meint, sie würde gerne mit mir reden. „Es herrscht Spannung.“ Kurz brauche ich um zu verstehen, dass es nicht um die Familie geht, sondern um die Gegend in der wir wohnen. „Wie meinst du das?“ Der israelsiche Geheimdienst hat einen Angriff von iranischen Millizen erkannt und diese gestern ihren Militärstützpunkt in Syrien attakiert. Anscheinend waren sie kurz davor gewesen, Israel anzugreifen. Das wurde verhindert. Erstes Gefühl: Erleichterung. Heißt das, ich freue mich gerade darüber, dass wir zuerst angegriffen haben? Wir… also diejenigen, die meinen jetzigen Wohnort verteidigen…. Der Ort, zu dem ich für diesen Moment gehöre, egal was meine eigene Geschichte ist… ? Ich kann es nicht leugnen, für diesen Moment bin ich erleichtert, dass es nicht vor meiner eigenen Haustüre eskaliert ist.

Nehme ich jetzt Position ein?

Wir wohnen sehr nah an dem allzeit umkämpften Gebiet, den Golan Höhen, nah zur syrischen und libanesischen Grenze. Es sind keine Nachrichten von der anderen Seite der Welt. Es spielt sich jetzt und hier ab.
Letztens wurde mir
von den israelischen bewohnern erzählt, die an der libanesischen Grenze am Berg wohnen und nachts immer ein Klopfen hören. Anscheinend werden Tunnel gegraben und es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie es schaffen ihren Weg durch den Berg zu machen. In den Nachrichten hieß es, dass gestern ein Angriff von Seiten des Libanon durch Schwebeflieger geplant war. Doch auch hier war Israel schneller.

Iran unterstützt im Libanon die Hizballah (Wikipedias Erläuterung – sicher nicht genügend nuanciert: „a Shia Islamist political party and militant group based in Lebanon”, „The group, along with its military wing is considered a terrorist organization by …“, „Hezbollah was conceived by Muslim clerics and funded by Iran primarily to harass Israel.). Sie nehmen mittlerweile 40 % der Sitze in der Regierung ein und Tadita erzählt sehr traurig davon, weil sie das Land Libanon sonst als so wunderschön erfährt. Soweit sie das einschätzen kann, denn sie darf selber als Jüdin nicht dorthin reisen. Die Hizballah nisten sich anscheinend in den Häusern von Bewohnern in kleinen Dörfern ein um sich so vor israelischen Angriffen zu schützen. Sie wissen, dass Israel und Libanon nicht befeindet sind. Manchmal zerstört Israel dann die Häuser von den Bewohnern, in denen sie denken, dass Terroristen wohnen und natürlich sind die Libanesen empört. Dann klingt es nach: Israel greift Libanon an oder Libanon greift Israel an. Wobei es überhaupt nicht um die Menschen selber geht, die da wohnen.

Ähnlich geht es zu im Gaza Streifen, sichtbar ist nur das Regime Hamaz und nicht all die anderen Leute, die dort wohnen; anscheinend in extrem armen Zuständen, weil all das Geld, dass von Hilfsorganisationen kommt, nicht an sie weiter gegeben wird. Gerade sei die Hamaz anscheinend zum ersten Mal bereit einen Vertrag mit Israel abzuschließen. Doch jetzt hat sich eine extrem radikale Gruppe von der Organisazion abgekoppelt, die auf eigene Faust auf israelisches Gebiet gelangen wollen. So schnell der Hoffnungsschimmer aufleuchtet, verweht er wieder.

In meinem Versuch, die Situation zu verstehen, beginne ich zu generalisieren. „Die Araber fördern diesen Konflikt und sind nicht bereit für Frieden.“ Nein, ziehmlich daneben. Die Iraner sind ja keine Araber. „Die Muslime sind nicht bereit mit Israel Frieden zu schließen.“ Nein, auch nicht. Nach Ägypten und Jordanien dürfen Israelis einreisen und das machen sie auch mit großem Vergnügen seit dem Friedensvertrag, in dem Sinai an Ägypten zurückgegeben wurde. Und sowieso leben in Israel lauter muslimische Palästinenser. Und was ist mit all den Muslimen aus dem Libanon, die aus ihren Häusern vertrieben wurden durch die Hizballah? Und wieso kämpfen Hamaz und IS dann nicht gemeinsam, wenn es doch um den heiligen Ort in Jerusalem geht? Also ist „es geht um Religion“ wohl auch keine stimmige Schlussfolgerung. Wie ich es drehe und wende, meine Erklärungen sind zu einfach und münden nach kurzer Reflexion in einer Sackgasse.

Woher bekommen die Staaten überhaupt ihr Geld und ihre Waffen um all diese Kriege überhaupt auszuführen? Spätestens hier kann gar nicht mehr ausgeschlossen werden, dass Europöische Staaten und alle anderen einflussreichen „Großmächte“ auch mit im Spiel sind. Sind wir deutsche Steuerzahler für den Mist verantwortlich? Wir sind nun mal auf unsere Exporte angewiesen um unseren Wohlstand zu wahren…

Also wenn alle irgendwie eine Rolle spielen, bleibt als einzige Konklusion, dass wir Menschen im allgemeinen einfach nicht in Frieden leben können. Wollen. Wissen…?

Wobei man ja meinen könnte, wir sehnen uns alle danach. Wer hat also so viel Spaß daran, dass das weiterhin möglich ist während ich hier sitze, Basilikumblätter für Pesto zupfe und mir anhöre, wie wir von allen Seiten attakiert werden. Ich muss mir ja eigentlich auch keine Sorgen machen, denn das israelische Sicherheitssystem hat eh alles unter Kontrolle. Es erkennt Raketen in der Luft und fängt sie ab oder entschärft sie. Es ist so stark entwickelt, dass es weltweit dafür anerkannt wird und die neusten Technologien verkauft. Diese müssen entworfen und dann auch getestet werden. Naja, und ohne Krieg ist das schwierig…

It’s really complicated.“ Das ist ein Satz, den ich hier schon zig male gehört habe. Auch wenn ich das davor schon wusste, jetzt fühle ich es. Es ist einfach nicht geil, wenn der eigene Wohnort angegriffen wird. Wobei es mir glaube ich weniger um Angst geht, also um Trauer über die Auswegslosigkeit des Konfliktes. Ich habe viele Freunde aus dem Iran. Und ich liebe es in München beim Libanesen Falafel zu essen. Ich will nicht, dass zurück gekämpft wird. Aber ich will um ehrlich zu sein auch nicht, dass jemand Bomben hierher schickt und zum Beispiel dieses Haus kaputt macht, wo die Familie in den letzten 40 Jahren aus einer Steppe eine grüne Oase gezaubert hat.

Zauberschmaus #1

Letztens habe ich mit Mevin (Sohn der Familie, lebt in einem ausgebauten öffetlichen Verkehrsmittel-Bus und baut gerade an einem Menschen aus Holz herum) einen Pflaumenkuchen-Wettstreit gemacht. Er hat sein zuckriges Familienrezept gemacht und ich nen Zwetschgendatschi. Als die Familie ihn probiert hat, meinten sie: „Und den mögen die Deustchen?“ Sie nannten ihn Pflaumenbrot. Liegt vielleicht auch mehr an mir und meiner Abneigung gegen süße Sachen. Nach einem Tag waren die Zwetschgen jedoch gut eingezogen in den Teig und sie haben mir abgekauft, dass es ein beliebtes Rezept in Deutschland ist!

Bei Hermann in den Golan Höhen

Ranon, der Vater der Familie, ist Handwerker und Gärtner. Meistens schweigt er, wenn wir am Esstisch sitzen. Ab und zu hilft ihm Maher. Dann bleibt er zum Mittagessen und erzählt und erzählt. Über seine Erlebnissen in Aachen mit den arabian horses, über all die Länder in denen er schon war und natürlich über sämtliche Bekannte und Gerüchte über sie. Ich verstehe nicht viel, ich sehe ihm gerne zu wie er lebendig mit den Armen gestikuliert und seine Augen groß werden und leuchten lässt.

An einem Samstag nimmt er uns mit in sein Dorf bei den Druz, direkt in den Golan Höhen. Die Golan Höhen waren in den letzten Jahrzehnten mal Teil von Israel, mal von Syrien. Doch die Bewohner sind die gleichen geblieben. Die Druzim sind staatenlos und haben ihre eigene Religion. Doch sie passen sich an die Regeln des jeweiligen Staates an, in dem sie leben. Lernen die Sprache und gehen sogar zum Militär. Außer in den Golanhöhen, da ersparen sie sich das Militär. Wo sie doch noch ein paar Jahre zuvor einem anderen Land zugehörig waren.

Als wir das Haus von Mahers Mutter betreten, sehe ich vorallem große leere Räume. Am meisten bekommt ein Raum meine Aufmerksamkeit, in dem keine Betten, sondern nur dünne Matratzen auf einem hohen Stapel liegen. Doch das ist tagsüber. Über Nacht wird aus dem Zimmer ein Bettenlager. Je nachdem wie viele Leute sich gerade ein Zimmer teilen, sind sie über den Boden verbreitet. Im Winter wird dann der Kamin in der Mitte vom Raum angeschlossen, sodass jede(r) etwas von der Wärme abbekommt.

Das Haus wird laut Tradition sein jüngster Bruder erben. Vom Balkon aus zeigt er mir den Ort, an dem er sein eigenes Haus bauen will. Etwas den Hügel hinunter, ein kleines Stück Land. Er träumt: !Es wird das Zentrum der Welt. Menschen von überall sollen dahin kommen. Egal woher, welche Religion, welche Hautfarbe.“ Er sieht sich als Sohn der Erde. Und ich bin die Tocher des Windes. Denn egal, wo er mich hinbrachte, am meisten genoss ich von den Orten, wo mir der Wind um die Ohren fegte.

Während Maher uns seine Lieblingsplätze zeigt, erzählt er und erzählt er. Ich bin total beeindruckt von den eleganten traditionellen Häusern aus hellem Sandstein, bis mir Ranon erklärt, dass sie einfach nur Betonklötze sind mit Steinfassade. Die echten traditionellen Häuser sind aus massivem Stein und sehen ganz einfach aus.

Was mir am meisten hängen bleibt, ist der Ort, wo es möglich ist bis nach Syrien zu sehen. Es ist eine Erhöhung, von der in alle Richtungen zu sehen ist. Die Mauern laden zum Klettern und balancieren ein. Ein kleiner Spielplatz. Ganz vorne, wie auf einen Schiffsbug, setze ich mich hin und spüre den Wind. Ich blicke in die Weite und singe. Plötzlich höre ich Ranon erzählen. „Vor zwei Jahren standen wir hier und haben den Krieg in Syrien gesehen. Ganz dort hinten kann man an klaren Tagen bis nach Damaskus sehen.“ Dieser Hügel diente damals, vor gar nicht langer Zeit, als Versteck für die Soldaten. Jetzt ist es ein touristischer Aussichtspunkt.

Am Ende der Tour führt Maher uns auf einen Hügel, von dem man sein Dorf aus der Ferne sehen kann. Es liegt ein wenig höher als die anderen Dörfer und wirkt wie das Zentrum der Welt. Im Hintergrund bricht die Sonne durch eine dünne Wolkendecke. Die ganze Landschaft ist von silbernem Licht überströhmt. Am Horizont sind die Kontoren des höchsten Berges „Germon – Hermann“ zu sehen. Da, wo die Israels im Winter Skifahren gehen. Ich sitze auf einem Vorsprung. Vor mir Weite und ein Meer aus Hügeln. Der Wind in meinem Gesicht.
Wenn ich an den
Machu Pichu denke, dann stelle ich ihn mir so vor.

Auf dem Rückweg kommen wir an einem Falafelladen vorbei. Uns bedient ein älterer Herr mit traditioneller Kleidung. Sie kommt mir türkisch vor und ich erfahre, dass sie sich verändert hat im Laufe der Zeit. Auch die Golanhöhen waren mal Teil des Ottomanischen Reiches wie an diesen kleinen Details festzumachen ist. Geschichte wird lebendig.

Flussgeflüster #2

Jeden Tag eine Stunde vor Dämmerung gehe ich an den Fluss. Kruz davor bin ich meistens ziemlich kaputt, fühle mich träge und motivationslos. Die Hitze drückt und die ganze Zeit in klimatisierten Räumen zu verbringen fühlt sich unnatürlich an, wo es draußen doch so schön ist. Wenn’s eben nicht so heiß wär.
Also radel ich die 5 Minuten zum Fluss, suche mir einen Eingang im Zaun (
auch Siedlungen, Dörfer, etc. werden durch Zäune voneinander abgegrenzt) und kühle mich im strömenden Flusswasser ab. Und tatsächlich, die Welt ist wieder in Ordnung.

Meistens gehe ich an die gleiche Stelle. Es ist ein Ort, wo das Wasser tief genug ist für ein Salto und es möglich ist, gegen die Strömung anzuschwimmen und so ein Weilchen im Wasser zu bleiben ohne komplett weggetrieben zu werden. Meistens treffe ich dort irgendjemanden, mit dem/der ich ins Gespräch komme. So wie an jenem Tag, also Noam mich einlädt zum Geschichtsunterricht.

Natürlicherweise beschäftige ich mich schon seit meiner Ankunft mit folgendem Thema: was sind die Unterschiede? zwischen Arabern, die auf jüdischer Seite leben, Arabern in anderen Staaten und Palästinensern? Zwischen religiösen Juden und Israelis, zwischen Muslimen und Arabern, zwischen jenen und solchen („und dann gibt’s noch ganz andere und das sind die Schlimmsten“).

Lektion Nummer 1: Die Herkunft der Israelis. Jede Person, die ich treffe hat Vorfahren aus mind. 2 verschiedenen Ländern. Zum Beispiel hat Noam persische und marrokanische Wurzeln.
Offiziell wird hier unterteilt in die Sephardim (1492 aus Spanien ins Osmanische Reich und Nordwestafrika geflohen) sowie die AshkeNAZI (Bezeichnung der Juden die in Deutschland, Polen, Russland, etc. gelebt haben/ leben).
Mit der großen Migrationswelle 1948 der Ashkenazi, hat sich eine Art Klassenstruktur entwickelt. Zumindest hinter den Kulissen. Bei jeder neuen Migrationswelle von Juden aus verschiedensten Herkunftsländern, mussten sie sich erstmal ihren Status erkämpfen. Die Marokkaner damals, dann die Iraker und Zugehörige der Suuvjetiunion. Derzeit leiden darunter wohl am meisten die Juden aus dem Jemen und Ethiopien, die vom Staat, bzw. von den streng religiösen Menschen nicht mal als echte Juden anerkannt werden…

Da sitzen wir also am Fluss mit unserem Schmierpapier und diesen vielen verwirrenden neuen Namen und Zusammenhängen, und werden von einer Familie überrascht. Die Nachbarn von Noam, bei denen ich letzten geklopft hatte, weil ich sein Haus gesucht hatte und ihre Einladung zum Tee auf ein anderes Mal verschoben habe. Sie kommen mit drei Kindern und einer von ihnen soll heute Schwimmen lernen. Also steht er auf den Steinen am Flussrand, und springt plötzlich mit Sack und Pack, bauch voraus, mit flatternden gespreizten Armen in das eiskalte Wasser und wird davongetrieben. Strampelnd hält er sich über Wasser, die Mutter, ganz entspannt, beobachtet das Geschehen.

Dann taucht Alfredo auf. Ein Argentinier, den ich am Tag davor kennengelernt hatte. Gestern kam das Thema Umweltbewusstsein auf. Er hatte Glyphosphat in Flaschen an Bäumen entdeckt und war entsetzt darüber. Doch wie ich auch schon am Abend zuvor beim Familienessen aus der Diskussion erfahren konnte: Die politische Agenda ist mit anderen Themen bestückt.

Gestern Abend setzte ich mich während den Nachrichten zu Adita und Ranon in ihre Fernsehecke. 4 Terroristen wollen aus dem Gazastreifen nach Israel. Eine Rakete wurde letzte Nacht abgefeuert. Natürlich. Wo bleibt da Raum für Gedanken und Handeln zum Thema Umweltschutz? Aber für einen gebürtigen Argentinier, der die Glyphosphat-Dramatik hautnah mitbekommt, ist es ein herzzerreißendes und brisantes Thema.

Also sitze ich da zwischen diesem bunten Haufen an Menschen und alle sind wir irgendwie in Kontakt. „Nur weil du da bist“ meinte die Mutter der Familie mit einem Lächeln. Und tatsächlich, da ich sie alle kenne, fühle ich mich verantwortlich. Doch eigentlich sind wir alle da, weil wir den Fluss genießen und die Abendstunden die Schönsten sind. Tagsüber gibt es lauter Kajaks mit Touristen und aus einer ruhigen Idylle wird ein Freizeitpart. Noch dazu sind gerade Ferien und laut den Einheimischen Menschen aus Beit-Hilel kommen die ganzen religiösen jüdischen Familien sowie ein Haufen Araber zum Fluss, verbringen den Tag dort, hinterlassen eine jede Menge Müll und ziehen lautstart wieder ab. Die lokalen Menschen verkriechen sich tagsüber in ihre Häuschen und trauen sich erst abends zum Fluss, wenn das Getümmel auffört und wieder Ruhe einkehrt in dem Ort, der ihnen so viel Kraft gibt. Tag für Tag.

Es ist schon fast dunkel und ich sitze auf der Terasse vor meinem Häuschen. Da ist es wieder, das Atmen. Tadita wurschelt im Garten herum und ich frage sie danach. „Komm“ meint sie und wir gehen in Richtung Pekanwald. Wir setzen uns still auf den Boden und schauen nach oben. Auf einem hölzernen Aussichtstürmchen sitzen zwei Eulen. „Sie kümmern sich um die Ratten und Mäuse im Garten. Sie sind zu dritt.“ Als die Eulen uns sehen, flattern sie davon. Aus der Ferne ist jetzt nur noch das Rufen der Koyoten zu hören.

Wasser gefällig?

Letzte Woche war ich in einem Dorf der „Druz“. Sofern ich das richtig verstanden habe, sind das Araber aber keine Muslime. Sie haben ihre ganz eigene Religion. Sowohl Männer als Frauen müssen in den strengen Regionen am ganzen Korper schwarz bedeckt herumlaufen. Die Männer tragen eine kleine weiße Kappe auf dem Kopf, die Frauen Kopftücher. Nachdem mir ein Freund vom Fluss über das leckere Essen der Druz vorgeschwärmt hatte und ich meinte, wir könnten ja gemeinsam seinen Freund dort besuchen, meinte er, das ginge nicht, denn dieser dürfte nicht mit mir gemeinsam an einem Tisch sitzen. So wie dessen Frau, wenn er männlichen Besuch bekommt, nur schnell das Essen nach draußen bringt und dann wieder im Haus verschwindet.
Auf jeden Fall bin ich mit Amiel (einer Tocher der Familie, bei der ich wohne) in diesem Dorf eine Stunde lang rumgelaufen, habe mit ihr über die Spannung in der Luft geredet, die sie in ihrem Auslandssemester in Eindhoven waargenommen hat, wenn das Thema Migration und Geflüchtete aufkam. Sie meinte, es sei die gleiche Spannung, die sie sonst in Israel wahrnimmt. Wohl bemerkt waren wir gerade vielleicht hundert Meter von der der syrischen Stacheldraht-Grenze entfernt.

Unser Gespräch wurde unterbrochen von einem Kind, dass uns zwei Plastikbecher und eine Flasche Wasser brachte. Der Vater, der auf dem Balkon wartete, hat mit Amiel ein Gespräch auf hebräisch angefangen. Eine Szene, von der mir sonst immer nur erzählt wurde. Eine selbstverständliche Gastfreundschaft, die ich so noch nie erlebt habe. Dass Amiel die Plastikbecher am liebsten nicht angenommen hätte, aber dass eine Sache der Unmöglichkeit gewesen wäre, hat sie mir danach erst erzählt.

Hat wer Recht?

Gleich nach meiner Ankunft bei der Universität lädt mich der Zuständige für die Computersysteme des Departments ein, in seinem Cart über das Gelände zu fahren. Er macht mir einen etwas nerdigen Eindruck, doch irgendwie plappert er freudig los und erzählt mir von Gott und der Welt. Bis wir irgendwo steckenblieben, das Cart hochheben, rausziehen aus seiner Beklemmung und lachend weitertuckern. Während wir so durch das Gelände fahren erklärt er mir geduldig hebräische Vokabeln (be’aya gdola – großes Problem, magen david – Davids Stern). Als ich zu einem Brunnen renne um mich abzukühlen, meint er, er hätte in all den Jahren, die er hier nun schon sei, noch nie erlebt, dass das jemand macht. Für mich war es das einzig Mögliche bei dieser Hitze. Was machen die Leute denn sonst? Sich davorstellen und dem Wasser beim plätschern zuschauen, während ihnen die Schweißtropfen vond er Stirn kullern?

Die Universität ist hoch eingezäunt, mit Stacheldrahtzaun beschmückt, und hat mehrere Eingänge, an denen der Pass einer Security vorgezeiegt werden muss. Nadav deutet auf den früheren Sicherheitsturm, der jetzt nicht mehr begehbar ist, weil ein Attettat darin vorgefallen ist. Wie schon öfter legt sich für einen kurzen Moment ein leichter Schatten auf die Dinge in diesem sonnigen und herzlichen Land. Und immer wieder frage ich nach und zeige mein Unverständnis für das, was ich höre und sehe. Denn manches ist meiner Realität einfach zu fern. Wie zum Beispiel die Sache mit dem Militär. Hier wird jede(r) Israeli, der/die kein(e) AraberIn oder extrem Gläubige(r) ist, nach der Schule für 2-3 Jahre rekrutiert. Und das wird als das Normalste angesehen überhaupt. Es bedeutet nicht, dass die Leute es alle toll finden, aber es gehört eben dazu. Mensch muss sich halt verteidigen…

Auf der Heimfahrt komme ich mit meinem Sitznachbarn ins Gespräch , der mir von seiner Militärslaufbahn erzählt und von dem schwierigsten Moment als Soldat, wo sich ein Attentäter eine Frau als Schutzschild genommen hat. Er meinte nur immer wieder: „Was würdest du machen?“
Mir stellen sich andere Fragen. Was spielt es für eine Rolle, ob eine Frau oder ein Mann als Schutzschild benutzt wird. Es ist immer einfach nur grausam. Doch meine Reflektion zeigt auch, in wie verschiedenen Welten wir leben und welche Themen uns beschäftigen.
Ich frage ihn, wie lange er meint, dass der Konflikt noch so weiter geht. „Bis die Palestinenser reifen und erwachsen werden und sie sich um eine strukturelle korruptfreie Organisation der Leute kümmern.“ Mein Einwand, dass es doch sicher von beiden Seiten etwas geben muss, das sich verändert, wurde durch Vorwürfe an die politische Herangehensweise der Araber klar abgelehnt.

Menschen

Wo ich in anderen Orten hitch-hike um Leute kennenzulernen, reicht es hier aus, sich in den Bus zu setzen und einfach nur irgendetwas zu machen. Ich habe noch keine Fahrt schweigend verbracht. Gestern Abend auf dem Heimweg, draußen die Straßen dunkel, mit blinkenden Lichternn versehen, der Bus hell beschienen, schrieb ich mal wieder in mein Tagebuch. Die Person mir gegenüber fragte direkt nach, was ich denn da schreibe. Ob ich Touristin sein und was ich denn so sehe. Also erzählte ich ihr von meinen Notizen, den Gedankenfetzen, mit denen ich gerne rumspiele. Sehr schnell schien sie zufrieden, und auf meine Frage hin, ob sie denn auch schreibe, gab sie als Antwort: nur Einkaufslisten. Gespräch beendet.

So ähnlich erfuhr ich es letztens am Fluss: Etwas weiter weg saß eine Person mit einem Buch, die ich heir noch nie gesehen hatte. Ich hatte mein Tagebuch auf dem Schoß und wollte gerade anfangen zu schreiben, da wurde ich schon wieder drauf angesprochen. Ich hab meine Sachen zur Seite gelegt, bin etwas näher gerückt und hab mich auf das Gespräch eingelassen. Auf meinem gebrochenen Hebräisch habe ich irgendwie versucht zu erzählen, was ich denn in Israel mache würde. Versuch gescheitert. Jedenfalls meinte sie ganz plötzlich, dass sie jetzt wieder ihr Ding machen würde und ich ja meins machen könne und dass es sie gefreut habe mich kennenzulernen. Und da saß ich dann neben ihr, etwas bedröppelt, mit dem Buch vor mir aufgeschlagen, zu nah und irgendwie zu sehr aus dem Kontext gerissen, um mich einfach wieder auf meinen Text zu konzentrieren. Sie war seelenruhig wieder in ihr Buch vertieft. Irgendwie suspekt. Aber doch sehr echt.

Seit dem Moment, als ich Abiya bei einem Skype-Gespräch für das Auslandssemester zugesagt habe hatte ich das Gefühl, genau das Richtige zu machen. Und bis heute, hat sich das nicht verändert. Der Wwoofing-Ort, die Menschen, die ich am Fluss treffe, der Fluss selber, die Familie hier, es fühlt sich einfach gut an. Dinge ergeben sich und meine Bemühungen und Wünsche werden zu Realität. Die Menschen scheinen mir hier so extrem offen und nett. Sie lassen sich begeistern und mtireißen von dem frischen Wind, den ich mitbringe. Gleichzeitig sind sie sehr direkt in ihrem Ausdruck und sagen mir ihre Eindrücke über mich geradewegs ins Gesicht. Was ich so schön finde ist, dass sie keine Angst haben, einem zu sagen, dass sie einen mögen oder dass ihnen jemand wichtig ist. Ich fühle mich angenommen, als dürfte ich einfach ICH sein, weil genau das so sehr geschätzt wird. Es verschwindet diese skeptische Distanz, mit der wir noch Fremden begegnen, mit der wir uns so sehr versuchen zu schützen um ja „cool“ zu bleiben, unantastbar, unverletzbar, eigenständig, autonom.

Auch mein Besuch in der Universität war, als ob ich da schon lange dazugehöre. Ich habe einen Kurztrip nach Tel-Aviv gemacht um mir Wohnungen anzuschauen und Abiya, meinen Supervisor zu treffen und Bar I’lan Universitah kennenzulernen. Abiya hat mich wie selbstverständlich mit offenen Armen empfangen und wir sind gemeinsam mit Raviva essen gegangen. Raviva ist die Koordinatorin von dem Projekt Kelim Shluvim, bei dem ich Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Musikunterricht geben werde. In dem Restaurant, das von Arabern geführt wird, erfahre ich, dass Abiya so etwas sonst nicht macht und stattdessen seinen Magen mit 13 Tassen Kaffee am Tag füllt, da er keine Zeit zum Mitagsessen findet. Nachdem ich mit Fragen zu meiner Herkunft, meinen Plänen in Israel und meinen Vorlieben zu Tee bombadiert wurde, habe ich ihnen von meinem misslungenen Kauf von 2,5 Kilo Tee für ungeschlagene 120 Euro in München erzählt. Beide haben herzlichst aus dem Bauch heraus gelacht und ganz offen und ehrlich gesagt, wie sehr sie das Treffen genossen hätten und sich wünschen würden, dass es öfter passiert. Ich freue mich richtig auf die Zusammenarbeit!

Flussgeflüster #1

Es gibt hier im Norden 3 Flüsse, die der Region Leben schenken. Jeden Tag gehe ich am Nachmittag zu „Hatzbani“ und tanke Energie. Er schlängelt sich durch einen Wald aus Bambus und anderen Bäumen, ist kalt, klar und reißt einen in Abenteuer mit.

Gleich am 2. Abend lerne ich Noam mit seinem Hund Osnap (meine Eselsbrücke: Oh schnapp!) kennen. Noams Namen kann ich mir lange nicht merken und anscheinend hat er das schon oft mit deutschsprachigen Menschen erlebt. Ähnlich mit der Bezeichnung seiner Arbeit. Er kümmert sich um Eregation (ich hörte ganz deutlich Erektion) – also Tröpfchenbewässerung. Mit etwas Mühen erinnere ich mich an unseren Erdkundeunterricht der 7. Klasse zurück. Jetzt fällt mir erst auf, wie unwichtig das Thema Wasser-Management für mich bisher war und welch entscheidende Rolle es hier spielt. Beinah alle Bäume und Pflanzen, die es in Israel gibt, sind künstlich angelegt und werden mit intellgenten Bewässerungsmethoden versorgt und am Leben gehalten.

Noam wird mein erster Freund. Ich weiß, wo er am Fluss sitzt und wann. Er lädt mich ein zum Kochen oder Biertrinken im Kibutz. Ich versuche die kryptischen Buchstaben seiner Nachrichten zu entziffern und nehme mir ein paar Minuten für die 1-Satz-Antworten. Er wirkt wie ein lieber, kindlicher, sehr sportlicher Mensch, der gerne erzählt von seiner Zeit in der Wüste, als sich die Welt für ihn um 180 Grad gedreht hat. Die Stille und die Einsamkeit, die Härte der Hitze und die Arbeit im Freien haben ihm einen neuen Blick geschenkt, mit dem er mir heute begegnet. Er spricht von gesellschaftlich hingenommenen Lügen, von den vermeindlichen Friedensverträgen, den wirtschaftlichen Hintergründen der Kriege und der Rolle Israels im Testen der Sicherheitssysteme.
Es tut mir gut, von seinen Ansichten zu hören, die ich so in den Nachrichten nie mtibekommen würde. Mit Noam entsteht ein Gefühl von Zuhause, von einem selbstständigen jungen energetischen Leben, außerhalb der Routine der Familie. Er erzählt mir von seiner Idee, eine Fahrradtour durch Italien machen, weil es dort Fahrradwege gibt. Hier kann er das nur einmal im Jahr machen, an Yom Kippur, wenn die Straßen leer sind, weil das Autofahren verboten ist. Ich freue mich richtig, ihm irgendwie bei der Planung helfen zu können und ein Stück von seiner Helfsbereitschaft zurückgeben zu können. Gemeinsam fangen wir an zu träumen von einer Gemeinschaft in Südfrankreich, wo wir vielleicht irgendwann mal leben…