Hat wer Recht? #3

„Was weißt du eigentlich über den Konflikt?“ fragt mich Safae. Sie gibt zusammen mit Abiya den Kurs mit Arabern und Juden, wegen dem ich ursprünglich hierher gekommen bin und hat mich zu einem Treffen eingeladen, um sicher zu gehen, dass ich weiß, in was ich mich da reinstürze.
Was ich weiß über den Konflikt? Ich stutze und bin erstmal überfordert. Wie antworte ich auf solch eine Frage? Sie ist Muslimin und ich will ihr zeigen, dass ich nicht „zu den Juden gehöre“, aber Fakt ist, dass ich bisher 99 % meiner Zeit mit nicht-religiösen oder jüdischen Israelis verbracht habe und die Perspektive der Araber, die in Israel leben, kaum kenne. Ja, natürlich habe ich mich über die Besetzung der palästinensichen Gebiete informiert (https://972mag.com/ , https://www.youtube.com/watch?v=7ayiO1Gl6lo ) aber auch hier ist das hauptsächlich Information von linkspolitischen Juden. Den realen Kontakt zu Arabern in Israel hatte ich nicht, außer Fawzi, einem palästinensischen 23-jährigen Schuhverkäufer aus Bethlehem. Ich weiß noch ganz genau, wie aufgeregt ich war, endlich „die andere Seite“ kennen zu lernen. Er hat mich und Amina für eine Nacht aufgenommen und uns durch die Stadt gefahren, uns die „wichtigen“ Orte gezeigt. Erst die Friedenstaube von Banksys, dann eine Kirche in der Wüste (Fawzi spricht von dem friedlichen Miteinander von Christen und Muslimen), die 500 km lange Mauer, die zwei Welten voneinander trennt, die Altstadt mit den Obstverkäufern auf den Straßen und zu guter Letzt ein wunderschönes Restaurant, abseits gelegen, mit Blick auf die Berge. Da mich meine Neugierde wie ein quängelndes Kind immer wieder in die Seite piekst, habe ich meine typischen Fragen gestellt: „Was macht ihr so während einer Intifada?“ – „Aus Spaß gehe ich manchmal für 5 Minuten raus mit einer Dose und spray irgendwas; den Rest der Zeit warten wir ab und schauen die Nachrichten. Und ja dieser Ort hier fühlt sich an wie ein halbes Gefängnis. Die Präsens der Mauer ist immer zu spüren. Aber hey. Ich bin hier als ein Freund.“ Mit seinem letzten Satz hat er mich gebremst. Ich hab ein paar Sekunden gebraucht um ihn zu verstehen. Er ist nicht mein Interview-Partner. Sondern möchte mir als Mensch begegnen.

Genauso kompliziert wie der Konflikt selber, ist es, zu erklären, was ich darüber weiß. Denn jede Antwort die ich gebe, macht nur Sinn, wenn ich sie relativiere mit all den anderen Informationen, die ich habe. Denn scheinbar kann keine Antwort für sich alleine stehen, ohne jemanden damit anzugreifen. Ich erinnere mich gut, wie es war, mit dem Bus von Bethlehem nach Jerusalem am Grenz-Checkpoint zu stehen, und auf die wenigen Palästinenser zu warten, die aus dem Bus geklettert sind um ihre Arbeitsvisen vorzuzeigen um in das ihnen sonst verbotene israelische Gebiet zu gelangen, während Juden und Touristen gemütlich im Bus sitzen blieben. Doch genauso haben mich die Geschichten derer berührt, dessen Vorfahren im Holokaust umgekommen sind und dessen Eltern in Israel Schutz gesucht haben. Sobald ich nur eine Geschichte erzähle, scheint es, als nähme ich Position ein.

Doch was weiß ich konkret, Fakten-technisch? Die folgenden groben Daten bilden einen kleinen Überblick:

  • Seit ca. 1870 : Hauptsächlich Ashkenazi (Osteuropäische Juden) in kleinen Wellen ins „Heilige Land“ und bilden Siedlungen in den Gebieten von Zfad, Tiberias, Jerusalem und Hebron
  • 1945 – Ende des 2. Weltkrieges
  • 1948 – Das Jahr, in dem die UN für das Bestehen des Israelischen Staat stimmt (Israelische Unabhängigkeit) – Juden aus aller Welt kommen und unterstützen die zionistische Bewegung, etliche Palästinenser werden aus ihrer Heimat vertrieben
  • 1967 – 6 tägiger Krieg – Annektieren von West Bank, Gaza, Golan Hights und Sinai (heutiges Ägypten)
    Alon (President der sogenannten linken Arbeiterpartei) – Plan wird umgesetzt: strategisches Umranden der palästinensischen Gebiete durch Siedlungen und Trainingsplätze des Militärs
  • 1973 – Yom Kippur Krieg – nach dem Angriff von Ägypten und Syrien wird Sinai an Ägypten zurückgegeben
  • 1979 – Friedensvertrag mit Ägypten “Camp Davi” + PLO (Palestinian Liberation Organization) wird legitimiert in der West Bank
  • 1997 – Oslo Protokol: die Westbank wird in 3 Zonen (A,B,C) geteilt, wobei in den dicht befölkerten Zonen A und B das Israelische Militär unter Kontrolle ist und buchstäblich machen kann, was es möchte
  • 2000 – 2005 2. Intifada: Bau der Mauer, die die Westbank von den Israelsichen Gebieten trennt, Grenze zu Gaza wird geschlossen

Soll ich ihr also all das sagen? Wie kann ich ihr beweisen, dass ich nicht blind in diesen Kurs hineingehe? Dass ich mir bewusst bin über die Komplexität und die vielen Facetten und die hohe Emotionalität, die das Thema mit sich bringt? Und wie mache ich deutlich, dass meine Neugierde einfach überwiegt? Dass ich einen tiefen Wille spüre, diesen Konflikt und die Menschen, die einen Teil davon bilden zu verstehen und dass ich dabei sein will, wenn es um den Versuch geht, Musik zu nutzen, um sich einander anzunähern… ?
Mein Körper wird heiß, ich spüre Schweißperlen auf meiner Stirn, meine Stimme klingt eng und mir steigen Tränen in die Augen. Ich glaube, sie erkennt, wie wichtig es mir ist…

Überall mal gewesen

Nach einem langen Tag, schon auf dem Weg nach Hause, stelle ich mein Fahrrad bei dem Second-Hand-Laden ab und mache mich auf die Suche nach einem hebräischen Kinderbuch und dem ersehnten Stabmixer. Die Frauen im Laden sind super nett und bringen mir ein paar neue Wörter bei, unter anderem die Übersetzung für „gastfreundlich“. Nur ein paar Minuten später verlasse ich den laden und muss feststellen, dass mein Fahrrad weg ist. Ich hatte es aufgerundet vielleicht 1 Stunde lang besessen, wovon ich es eine halbe Stunde lang mit platten Reifen auf der Suche nach einer Tankstelle geschoben und kurz als Leiter genutzt habe um eine Zitrone zu pflücken.
Der Traum, die
ernorm chaotischen und energieraubenden öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden ist für’s erste also geplatzt. Anstatt meinen Weg in Richtung Zuhause fortzuführen, folge ich dem Rat der anderen Kunden im Laden und mache mich auf den Weg zur Polizei. Es gibt eine sogenannte Kamera-Pflicht für Läden/öffentliche Geböude, also besteht die Möglichkeit, das Fahrrad zurück zu bekommen. Mit einem mulmigen Gefühl und schlechtem Gewissen über den Verlust mache ich mich auf den Weg zu den „Hütern der Stadt“. Ich war davor noch nie bei der Polizei und hatte es auch in sowohl naher als auch ferner Zukunft nicht vor. Skeptisch mache ich mich auf den Weg.

Es ist dunkel als ich bei dem eisernen Tor ankomme. Ein paar Meter weiter sehe ich im Gebäude einen Polizisten genüsslich auf seinem Platz sitzen.
Nach ein paar Versuchen, macht es ein lautes Geräusch und das Tor geht auf. Ich glaube,
sie haben mich gesehen.
Ich gehe zum Empfang und werde als erstes nach meinem Pass gefragt. Natürlich hab ich den nicht dabei. Also doch zurück nach Hause um dann eine Stunde später vollig übermüdet zurück zu kommen.
Ein Beamter führt mich in einem abgelegenen Raum und wir setzen uns an einen mit Kaffe beflecktem Tisch. Der Beamte ist auffällig entspannt. Er redet mit mir über belangloses Zeug während er das viel zu lange, irrelevante Formular ausfüllt, das mir wenig Hoffnung macht. Aber seine Lässe-faire Laune steckt mich an. Ich frage ihn, ob einer der Beamten mich nach Hause fahren könne, da ich so müde sei. Er meint, er würde sich drum bemühen. Wir gehen zurück zum Empfang und während ich darauf warte, dass sich einer von ihnen bereit erklärt mich mitzunehmen, erzähle ich von meiner angeblichen ar

gentinischen Herrkunft und lächele über die spanischen Lieder, die der Beamte aus den bekannten Soupshows anzustimmt. Dann gibt es das Startsignal und ich lasse mich auf der Rückbank eds Polizeiwagens nach Hause fahren. Wie alle anderen auch, sind die beiden Polizisten völlig baff von meinem Hebräisch. Sie erzählen von ihren Deutschkenntnissen und von den Diebstälen, die ihren Alltag gestalten. Als sie mich endlich zuhause rauslassen, falle ich hundemüde ins Bett. Im Halbschlaf frage ich mich, welche Erfahrungen andere mit ihnen wohl machen. Andere, die keine jungen, weiblichen, blonden Touristin_innen sind…

Ende des Nomadentums

Den ganzen Tag drinnen zu sein, ermüdet mich. Manchmal habe ich das Gefühl, mir würde die Decke auf den Kopf fallen und alles zieht mich einfach nur nach draußen. Aber es hat auch viel schönes, so ein eigener Ort. Gestaltet mit den wenigen Dingen, die ich mitgebracht habe. Hier und da ein Detail, ein Licht, ein Bild, eine Kerze. Euphorie kommt in mir hoch wenn ich zum ersten Mal die Läden der Umgebung erkunde, auf der Suche nach Orten, an denen ich mich wohl fühlen könnte, die genau das Essen verkaufen, das ich mag. Gutes Öl und Kakao, Datteln und frisches Gemüse, Tef-Mehl und Tahin.

Ich besuche meinen einzigen Bekannten hier in der Gegend in der Eisdiele und bringe meine Wäsche in einen Waschsalon. In einem Schreibwarenladen besorge ich rote Folie und bekleide damit meine Küchentheke. Beim Blumenladen hole ich frische Erde und topfe die vererbten Pflanzen meines Vormieters um.
Ich verabscheide mich von der sporadischen Barbi-Bettlaken-Lösung und ziehe die übrig geblieben Nägel aus den Wänden.
Teller und Gläser sortiere ich neu und die Möbelstücke schiebe ich hin und her, bis sie einen Platz gefunden haben, wo sie, obwohl sie leer und ungenutzt sind, den Raum trotzdem wohnlich machen. Wirklich viel Zeug hab ich nicht, deswegen behalte ich die DVDs und Platten von unserem Vormieter, auch wenn wir für keins der beiden ein Abspielgerät haben. Ich stelle seine Überbleibsel vereinzelt in der Wohung auf und tue so, als herrsche Leben.

Ich weiche Kichererbsen ein, koche sie und stampfe sie zu Hummus, denn einen Stabmixer gibt es auch noch nicht. Ich mische meinen gepflückten Zatar mit Öl und Sesam, bereite Salat zu, richte alles fein her in einer ovalen Schale und setze mich auf den Boden für mein erstes Mahl in meinem neuen Zuhause.

Mevin aus Beit Hilel wohnt für einen Monat in Jaffo, dem älteste Stadtteil von Tel-Aviv, um dort einer öffentlichen Werkstatt zu arbeiten. Ich komme ihn gemeinsam mit Tadita und Ranon besuchen. Der Raum ist schlank gebaut und hoch, mit grellem Licht und weißen Wänden. Zumindest jene, die er nicht schwarz bemalt oder beschriftet hat.

Mevin ist mein lebendiges Vorbild, wenn es darum geht, nach dem Bauchgefühl zu handeln und einfach das zu machen, was sich gerade richtig anfühlt. Ohne groß darüber nachzudenken. Ich erinnere mich gerne an den meterlangen Bus, den er in eine Oase, ja eine komplette Wohnung umgebaut hat. Mit wunderschönen Einzelstücken aus Holz, einzigartigen Lampen und zwischendrin seinen Skizzen. Von außen umwachsen von wildem Gesprüpp. Jetzt sitzt er in einer Ecke, wie eingesperrt in einem Kellerzimmer. Ein paar seiner Werke hat er mitgebracht, sie stehen vereinzelt in dem Raum verteilt. Ich frage ihn, ob er immernoch so gut wisse, sich selber zuzuhören. Er schaut mich an. Die Stadt macht ihm zu schaffen. So viel sie auch zu bieten hat, sie ist gleichzeitig auch so unglaublich gierig. 

Wenn alles einfach kurz stoppt

Meine Freundin Alaya ist da. Sie ist aus Deutschland gekommen um mich zu besuchen und diesen aufregenden Ort hier kennenzulernen. Was uns rasch auffällt als wir unsere Reisen planen: Die Hälfte ihres Besuchs hier sind Feiertage. Jom Kipur, Shabat und dann Sukot. Keine Busse, keine Geschäfte und alles Leben im Familienkreis. Am Abend vor dem Ruhetag wird alles stillgelegt und das bleibt so bis zum Sonnenuntergang des Folgetages.

Also entscheiden wir uns Jom Kipur in Jerusalem zu verbringen. Da soll noch am meisten los sein, denn dort leben die meisten praktizierenden Jud_innen. Wir kommen bei einem Freundes-Freund unter und ziehen nach dem Abendessen los. Ein ganz seltsames Gefühl, durch die nächtlichen Gassen zu streunern und an jeder Ecke eine kleine Synagoge anzutreffen mit weiß gekleideten Männern drinnen, und Frauen an den Seiten-Eingängen. Der Feiertag besteht aus nicht mehr als 24 Stunden lang zu beten, kein Schlaf und kein Essen. Es soll ein Tag der Härte sein. Während die Männer tief beschäftigt sind, schnappen sich die Kinder Bobbycars und rollen die Hauptstraße runter, denn an diesem Tag gibt es keine Autos. Nirgendswo. Das gilt auch für die Araber , die müssen sich an die Regeln der Staatsreligion halten.

Eine Woche später ist Sukot. Ein Feiertag, an dem alle Familien eine kleine Hütte auf ihrem Balkon oder vor der Tür aufbauen um ihr Leben für eine Woche nach draußen zu verlagern. Also mehr eine Feierwoche. Er soll an die Zeit erinnern, in der die Menschen in der Wüste in einfachen Hütten gewohnt haben, simpel, mit leichtem Dach und nahe zur Erde. Es ist ein Fest der Gemeinschaft. Die Suka ist offen für Gäste. Kinder kommen vorbei und fragen nach Süßem. Es ist ähnlich wie an Halloween, nur dass sie statt gefährlich aussehenden Masken, Kotletten-Löckchen und eine Kipa (Hütchen) tragen. Die Jungs sind eingepackt in eine schwarze Anzughose mit weißem Hemd, die Mädchen ganz in weiß. Sie singen Lieder und erläutern ihren Verwandschaftsgrad mit möglichen Bekannten aus dem Kibbutz.

Ich bin bei Abiya und seiner Familie eingeladen, den einleitenden Feiertag der Woche zu verbringen. Sie nehmen mich mit zu seiner Mutter in ein Kibbutz im Jordanland. Es beginnt, wie auch bei Shabbat, am Abend vor dem eigentlichen Feiertag. Mit dem Untergang der Sonne werden Handys weggepackt, und die Elektrizität wird nicht mehr angerührt. Ab sofort gelten die Feiertagsregeln. Diese Regel lehnt sich an das frühere Verbot an, Feuer zu entzünden – zusammen mit vielen anderen Regeln wurde sie relativ spät nach den originellen Schriften von „einer Gruppe von Weisen“ in der Talmud niedergeschrieben. Doch was im ersten Moment sehr streng klingt und von vielen liberalen verflucht wird, hat für mich in diesem Moment etwas sehr beruhigendes. Denn alle sind einfach nur da. Jetzt zählt einfach nur das gemeinsame Sein. Alles andere kann warten.

Wir setzen uns and den Tisch und Abiya beginnt ein ein Gebet zu sprechen/ singen. Er teilt frisches Brot aus und reicht einen Becher mit Wein rum. Während der Zeremonie ist Stille. Zumindest sowas in der Art. Alle ziehen kommunikative Grimassen und flüstern sich gegenseitig etwas zu, während sie die Gläser verteilen, nach etwas auf der anderen Seite des Tisches fragen und die Sitzordnung klären.
Vor 5 Minuten waren wir noch im Wohnzimmer, lautstark am Unterhalten. Und jetzt bin ich mittendrin in diesem Ritual, von dem ich nicht mal eine wage Vorstellung hatte, wie es aussehen würde.
Es ist wunderbar die Dynamik der Familie mitzuerleben, mit ihren wuselnden Kinder um mich herum, und der coolen Oma. Sie trägt 2-Zentimeter kurzes weißes Haar, hat markant gezeichnete Augenbrauen und vor der Zeremonie trug sie noch ein marrokanisches buntes Kleid.

Ich genieße von der Präsens. Von dem Gemeinsamen. Abiya hatte mich vorgewarnt, mir könne eventuell langweilig werden. An einem solchen Tag gäbe es wirklich nichts zu tun. Aber so geht es mir überhaupt nicht. Es erinnert mich an die Zeit in Argentinien, wo wir uns jeden Sonntag mit der Familie getroffen haben zum gemeinsamen Essen, Karten oder Fußball spielen, quatschen und Mate trinken. Für mich waren das ganz besondere Momente. Denn das waren die Momente, wo ich das Gefühl hatte, eine Familie zu haben. Wo ich einfach dem Geschehen zusehen konnte. Wo alle Zeit hatten. Wo Begegnung stattfand.
Doch ich erinnere mich auch, dass meine kleine Schwester dieses Treffen manchmal mehr als Pflicht anstatt von Genuss wahrgenommen hat. Sie hatte Freunde, die sich trafen und sie konnte nicht dabei sein. Und hier ist es nicht anders. Yuval, der älteste Sohn benutzt in Stille im
dunklen Zimmer sein Handy. Und als ich ihn bitte, einen Anruf zu tätigen, führt er mich ins Nachbarhaus, wo uns niemand sehen oder hören kann. Auch nicht die Nachbarn im Kibbutz.
Ich will recherchieren, wie ich noch heute Abend nach Bethlehem kommen kann. Auf der Karte schien es mir so nah, vielleicht 15 Kilometer. Doch es geht um etwas anderes. Wenn ich aus dem Kibbutz, eine jüdische Siedlung im Jordanland, hinausfahren will um zu einer palästinensischen Stadt zu kommen, muss ich mit mehr als einer Stunde rechnen. Ich muss nämlich erst einen Bus unter israelischem Namen nach Jerusalem nehmen, um dann von dort einen Bus zu nehmen, der von einem Araber gefahren wird. Bethlehem ist Rote Zone für Juden, liegt in der Zone A und ist damit unter Kontrolle der PA (Palästinensische Autorität). Das Problem ist nur, dass es bis zum Sonnenuntergang (ca. 19:00 Uhr) keine öffentlichen israelischen Verkehrsmittel gibt und der letzte arabische Bus von Jerusalem fährt genau um diese Zeit. Die Alternative wäre also ein vergleichsweise teures Taxi von einem palästinensischen Fahrer zu nehmen, der dann außerhalb vom Kibbutz auf mich warten würde.
Viel zu kompliziert! Ich bleibe
hier und fahre am nächsten Tag nach Sonnenuntergang mit dem Auto von Abiya zurück.

Die bergige Landschaft rrund Jerusalem ist auf dem Rückweg nur durch die Lichter der Häuser zu erahnen. Die roten Hausdächer der palästinensischen Siedlungen sind dunkel. Nur die grün beleuchteten Mosheen setzen ein Zeichen.
Ja. Ich war tatsächlich in einer jüdischen Siedlung im besetztem palästinensischen Gebiet. Während mich Yuval gestern durch das Kibbutz geführt hat, habe ich ihn gefragt, wie es denn für ihn sei, seine Oma hier zu besuchen. Er liebe den Ort, denn er habe einen großen Teil seiner Kindheit hier verbracht und er liebe seine Oma, aber er sehe gleichzeitig den Konflikt, den es mit sich bringt, als Juden in Palästina zu leben. Er würde sich wünschen, dass es zwei Länder gäbe (Israel und Palästina) oder dass alle gemeinsam leben könnten. Doch das scheint am heutigen Zeitpunkt noch wie ein Traum. Denn alle jüdischen Siedlungen einfach zu räumen und das Gebiet an die Palästinenser zurück zu geben würde großen Widerstand hervorbringen. Mittlerweile sind diese Gebiete das Zuhause von jemandem. Teilweise sind es die Folgegenerationen, die dort leben und mit der Besetzung des Landes in erster Linie nichts zu tun hatten. Doch wie die Ärzte so schon sagen: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist, es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.“ Dass hierfür eine Lösung gefunden werden muss, steht außer Frage. Doch wie komplex die Situation ist, wurde mir nochmal vor Augen geführt.

Abiya sitzt am Steuer und fragt mich, ob ich Angst hätte. Wir hatten gerade über die innere Unruhe der Israelis geredet, dass jederzeit ein neuer Angriff kommen könnte, dass sie jederzeit ihren einzigen sicheren Hafen verlieren könnten. Er wollte wissen, wie ich zu der Migrationspolitik und allgemeinen Situation in Europa stehe, und ob ich Angst hätte, dass auch wir unsere Rechte verlieren könnten, durch die Ankunft von so vielen Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen. Meine erste Reaktion ist: „Nein. Denn Angst bringt uns nicht weiter. Wir können die Situation nicht ändern. Menschen fliehen, weil sie keine andere Option sehen/haben. Wir können sie nicht aussperren, nur weil wir das Privileg haben, hier geboren zu sein. Das einzig Mögliche ist, eine Infrastruktur zu kreieren, in der sich Menschen willkommen fühlen und die Chance bekommen, ein Teil der Gesellschaft zu werden. Denn das jahrelange Einsperren der Menschen in Camps macht sie zu Zombies, macht sie wütend und hoffnungslos. Wir brauchen Orte der Verbindung, Möglichkeiten der Kommunikation und des Verständnisses füreinander. Nur dann können wir gemeinsam leben. Meine Angst gilt den Reaktionen der Deutschen, die sich von ihrer Angst leiten lassen, ihren hohen Lebensstandart zu verlieren.“ Klingt für mich erstmal nach dem einzigen Logischen. Doch wie stehe ich zu meinen Rechten als Frau? Denn natürlich sind nicht alle Migrant_innen bereit sich zu integrieren, alle kommen mit einem anderen Bild/ anderer Vorstellung eines Lebens im „Westen“. Israel sei das Land der Immigrantion. 1948 wurde lautstark an alle Juden der Welt verkündet, sie sollen kommen und sich niederlassen im heiligen Land. Sie sollen ein Zuhause haben.

Menschen kamen von überall her und alle sollten willkommen sein. Doch trotzdem herrscht in dem Land Rassismus, oder wie es heute jemand genannt hat: Ethnizismus (Unsere Kultur ist die Beste, alle anderen sind scheiße). Konflikte zwischen Kulturen sei etwas normales. Normal ist die Angst vor dem Anderen, vor dem Unbekannten. Schon immer wurden Kriege deswegen geführt. Und ich meine, das könne sich einfach so ändern?
Abiya leitet den Kurs an der Universität, an dem ich ab nächster Woche teilnehmen werde. Araber und Juden (und diesmal eine Deutsche, vielleicht Pantheistin) kommen zusammen und tauschen sich aus. Er hat den großen Willen, um für Verständigung zu sorgen und Brücken zu bauen zwischen sämtlichen sozialen Gruppen. Doch er weiß auch wie groß die Hürden sind. Ich bin dankbar, neugierig und aufgeregt, meinen gutmütigen aber auch unerfahrenen und wahrscheinlich doch recht naiven Blick auf die Dinge, neu zu erforschen. Und vielleicht ein bisschen besser zu verstehen, was es braucht, um Menschen die Angst vor “dem/der Anderen” zu nehmen.

Hier eine wunderschöne Musik von einem palästinensichen Oud-Spieler: Hewar – Mohsen Subhi

Geschichten in Kamuflage

Im Laufe der Zeit spreche ich mit vielen Menschen über ihre Zeit im Militär. Wenn zwei Israelis sich kennenlernen, wird erstmal abgecheckt, wo sie Dienst geleistet haben und ob sie sich nicht daher irgendwie kennen. Ich erinnere mich noch an so manche Geschichten…

Merav: „Die gesamte Schulsystem ist darauf aufgebaut, dich auf die Armee vorzubereiten. Ich hab es gemacht, ich wollte wissen, was es heißt, in diesem System zu sein. Ich wollte mich von seiner Brutalität überzeugen lassen. Und ich mochte tatsächlich meine Funktion. Ich habe junge Leute auf die Armee vorbereitet, eine Gruppe begleitet, Einzel-Gespräche geführt. Ich durfte 2 Stunden in der Woche meine eigenen Ideen einbringen, habe über Dumpster Diving und son Zeug mit ihnen geredet… in der Zeit habe ich in Shapira – im Süden von Tel Aviv gelebt, und das Zusammenleben war einfach genial.“

Auf einem gemeinsamen Spaziergang, wir stehen an der obersten Spitze eines Klettergerüsts, erzählt mir Shemer: „Ich war kein glückliches Kind. Schon davor nicht. Erst nach zwei Jahren Zivildienst habe ich mich getraut, etwas zu sagen. Habe versucht, entlassen zu werden. Ich habe mit der Psychologin geredet, doch sie hat mich nicht ernst genommen. Irgendwann habe ich es geschafft, in eine Auszeit geschickt zu werden. Als ich mich geweigert habe, zurück zu kommen, wurde ich ins Gefängnis gesteckt. Dort war ich ein paar Wochen bis der Albtraum endlich vorbei war.“

Udi raucht seine Zigarette. Wir sitzen auf seiner Terasse und er erzählt mir von allem, was vorher war. Bevor er auf einem Bauernhof lebte. Bevor er sich gesund ernährte, von Gewaltfreier Kommunikation hörte, seine Augen lernte zu heilen… „Damals lebte ich im Westjordanland. Hab dort studiert. Bis es mir reichte und ich in die Wüste ging. Ich war Teil des Krieges, habe Menschen sterben sehen. Ich war einfach kaputt danach. Unser gesamtes Volk ist traumatisiert von diesem Irrsinn. “

Während wir eine Wanderung durch die bergige Umgebung von Jerusalem machen, erzählt mir Yuval: „Ich hab dir ja gesagt, nicht alles am Zivildienst ist schlecht. Ich habe richtig viel gelernt. Was es bedeutet, Keyboarder in einer Band zu sein im Vergleich zu einem Solo-Piansisten. Ich bin aufgetreten, habe Musik gespielt, die ich sonst nie gespielt hätte. Nur die Zeiten, die ich in der Basis verbringen musste, die waren hart. Einfach dort sitzen, auf irgendeinen Bildschirm starren und nichts tun. Ich freue mich wenn es vorbei ist im November. Dann schneide ich mir die Haare wieder, so wie ich es mag. Vielleicht einen kleinen Iro mit Farben.“

Kurz vor Ende lade ich 3 Freundinnen zu mir in meinen Bus ein. Wir sitzen auf dem Holzboden, trinken Tee aus Keramiktassen von Tadita und Shahar enthüllt ihre Geschichte: „Ich hatte damals kurzgeschorenes Haar so wie die männlichen Soldaten. Ich war trainiert, hatte einen starken Körper, eine richtige Combat-Soldatin. Ich wollte mich beweisen. Nach der allgemeinen Vorbereitungsphase wurde ich in im besetzten Westjordanland eingesetzt. Ein paar Monate war ich dort. Ich habe gesehen, was es bedeutet, Menschen zu unterdrücken. Irgendwann ging es mir richtig schlecht. Ich wusste, dass ich da raus muss, doch ich wusste auch, dass meine Geschichte überzeugender sein muss, als die der anderen. Meine Eltern standen zu hundert Prozent hinter mir und haben gemeinsam mit mir gespielt. Ich habe vor der Psychologin geweint, Selbstmord angedeutet und mich von meinem Spiel selber so mitreißen lassen, dass ich in eine Psychiatrische Klinik mit Verdacht auf Psychose eingewiesen wurde. Es ging mir wirklich nicht gut, doch ohne Theater hätten sie mich nicht ernst genommen. Als mir die Tabletten gegeben wurden, habe ich sie unter meine Zunge gelegt und danach wieder ausgespuckt. Doch der Monat dort war gut für mich. Vor allem die kreativen Therapien, das tanzen und malen, die Musik. “

Yarin legt seine Oud weg und dreht sich eine Kippe. Er stellt sich auf dem balkon und spricht von dort zu mir. „Ne gute Zeit war’s, als ich einer der Wächter an der Grenze zu Ägypten war. Ich hab den ganzen Tag geraucht, n Buch geschrieben und mit anderen Soldaten Blödsinn gemacht. Ein paar von ihnen sind immernoch gute Freunde von mir. Beschissen ist es, wenn Krieg ist. Wenn alle Soldaten gerufen werden um zur Grenze von Gaza zu kommen um die Tunnel zu zerstören und das zu tun, was getan werden muss. Am schlimmsten war es, als ich der Mutter von nem Freund sagen musste, dass ihr Sohn umgekommen ist.“

Die Geschichten sind unendlich. Nicht zu vergessen diejenigen, die nach der Schule das Land verlassen haben, um den Zivildienst zu umgehen.

Mit der Zeit gewöhne ich mich an die Maschienengewehre, die Passkontrollen, die Kamouflage-gekleideten Bussnachbarn. Daran, dass jede Person ihre Geschichte mit der Armee hat, ob in der Westbank, im Gefängnis, in der Psychiatrie, bei der Jobsuche oder im Ausland…

Mittendrin

Warum ich Hebräisch lerne, wenn ich ja gar nicht vorhabe hier zu bleiben? Wenn ich ja eh wieder gehe..? Warum der Aufwand, die Mühen, die vielen Momente des Unverständnisses? Warum wieder mal in Kinderschuhen stehen und jedes Wort zig Male hören, bis es locker leicht aus meinem eigenen Mund kommt? Gute Frage… Für mich ist es einer der Wege, mich Teil einer neuen Welt zu fühlen. Es bedeutet für mich, Interesse zu zeigen für mein Gegenüber. Ich möchte die Menschen kennenlernen mit ihren Gewohnheiten. So wie ich es liebe das Zuhause von jemandem kennenzulernen und die Bilder an der Wand zu bestaunen, genauso genieße ich es, jemandem zuzuhören in seiner Muttersprache. In ihr klingen so viele Menschen und Erlebnisse, Emotionen und Erinnerungen mit, die auf englisch (meistens ist das nicht die Muttersprache) irgendwie verloren gehen. Ich wünsche mir, dass die Menschen einfach weitermachen in meiner Gegenwart. Ohne den Schalter umzulegen. Ich will ihre Witze verstehen, sie in ihrer Komfort-Zone erleben und ihren Alltag teilen. Ich will ein Teil sein. Ich bin nicht gerne Gast. Ich suche immer nach dem Gefühl, mich zuhause zu fühlen. Auch wenn ich weiß, es ist für beschränkte Zeit. Wenn ich irgendwo bin, dann bin ich dort auch wirklich. Ich stehe mit den anderen am Morgen auf, wir arbeiten, kochen, essen, putzen, reden, schweigen, tanzen, sind müde, warten, schlafen. Ich will nicht nur Zuschauen, sondern meine eigenen Gewohnheiten mitbringen, meine Bedürfnisse erfüllen und meine Aufgaben haben. So wie überall anders auch. Es ist ein bisschen, wie mitzutrinken, wenn manche Menschen auf ein Fest gehen. Sie wollen das selbe Energie-Level haben, die gleiche Stimmung teilen. Manchmal fühle ich mich hier genauso. Die Sprache ist mein Alkohol. Ich muss warten, bis ich alt genug bin und bei allem mitmachen darf.

Ich genieße es, in einer Gruppe zu sitzen, ihre Dynamik zu beobachten, zwischendrin Wörter aufzuschnappen und mitzulachen. Sonst fühle ich mich oft wie die Leserin einer Geschichte. Die priviligierte Leserin einer komplexen Geschichte, die das Buch immer wieder zuklappen kann.

Vor ein paar Tagen habe ich mit einer Freundin aus dem Iran telefoniert. Sie meinte, dass sie sich so sehr wünscht, wie ich mit den Händen an der frischen Luft zu arbeiten. “Aber warum machst du es denn nicht?” frage ich sie. Die Antwort ist einfach. Meine Privilegien werden ihr verweigert. Einfach so irgendwo auf eine Farm fahren, es scheint ihr unmöglich… “Was fühlst du, wenn ich dir von all den Restriktionen erzähle, von den Problemen, der Aussichtslosigkeit, dem Aktivismus, der konstanten Überwachen und der ständigen Angst, wegen dem kleinsten Widerstand im Gefängnis zu landen?”
“Frustration und Enttäuschung”, meinte ich. “Es bringt mich ein Stück näher zur Realität. Weckt mich auf. Und gleichzeitig fühle ich diese Realität so weit weg von mir. Als würde ich ein Buch lesen.” Um ihre Situation wirklich verstehen zu können, müsste ich in ihrem Körper stecken, denn es ist kaum möglich, meine Privilegien abzulegen und wirklich die Situation von ihr nachzufühlen. Ich würde so gerne! Aber was bräuchte es? Haare färben? Monate lang in der Sonne sein? Ein Kopftuch tragen? An dem besagten Ort wohnen und Geld verdienen? Kontakt zu meinem sicheren Hafen in Deutschland abbrechen? Nationalität wechseln und eventuell sogar Religion? Wie weit müsste ich gehen um mein Umfeld genauso zu erfahren und vorallem, genauso behandelt zu werden…?

Einmal habe ich eine schwarze Maske auf einer Feier getragen. Fast niemand kannte mich. Alle wussten, dass ich dazugeladen war, doch kaum einer traute sich, mich anzusprechen. Manche baten mich, die Maske abzusetzen, andere ignorierten mich… Ich habe mich alleine gefühlt. 4 Stunden habe ich getragen, dann wollte ich es einfach nicht mehr aushalten, wollte einfach nicht mehr so gesehen werden. Ich nahm meine Maske ab und die Gruppe fing an mit mir zu reden. Ich fühlte mich wieder zugehörig…

Wenn ich etwas dazu lerne, mich entwickel, dem erfüllten Leben ein Stückchen näher komme, geht es für mich meistens darum, Vertrauen zu haben. In mich selber und in die Welt. Angst abzulegen, Vertrauen aufzubauen. Aber wie weit kann das für jemanden stimmen, der im Krieg aufwächst? Wenn der Hass so nah ist, und die Trümmer so hoch…? Wenn wir wissen, dass es nicht alles wieder gut wird. Zumindest nicht hier, nicht zu dieser Zeit…
Ist es ein Privileg um über inneren und äußeren Frieden nachzudenken?

Selten war ich dem tatsächlichen Geschehen von derartiger Brutalität so nah. Mein Herz schmerzt, wenn ich an das Gespräch über Hebron heute nachdenke. Jeden Tag dringt das israelische Militär dort in Wohnungen ein, zu unbegründeten Zeiten, macht den Bewohnern Angst, schüchtert sie ein. So halten sie die Gegend in Kontrolle und halten die Bewohner klein. Seit 1967 (nach dem 6 jährigen Kireg) ist Hebron Teil der besetzen Gebiete (Gaza, Golan Höhen, West-Jordanland) und demnach 24/7 unter Beobachtung durch das israelische Militär. Siedler, hauptsächlich mit europäischen Wurzeln (Ashkenazi) begonnen, ihre Häuser dort zu bauen. Auch wenn es offiziell in dem Vertrag mit der UN nicht erlaubt ist, wird in diese Vorhaben nicht eingegriffen und die Fälle werden ohne Folgen schnellst möglich wieder vergessen. Als dann das Argument aufkam, dass sie ja Eukalyptusbäume pflanzen würden, die gut für die Umwelt seien, war ich einfach nur noch traurig.

(Wer mehr über die Besetzung lesen möchte: https://972mag.com/)

Seit ich in der Stadt wohne, begegne ich diesem Rassismus auch im Alltag. Gestern zum Beispiel saß ich an einer Bushaltestelle neben Phil, einem äthiopischen jungen Menschen. Ich mochte seine Augen. Lange habe ich bei einem Fremden nicht so ein Vertrauen gespürt. Oft sind die Menschen, denen ich hier auf der Straße begegne, sehr direkt mit ihrem Interesse, bis zu aufdringlich und grenzüberschreitend. Phil wirkte irgendwie schüchtern und einfach richtig nett. Vor einem halben Jahr hatte er ein Restaurant aufgemacht, er wirkte so glücklich und stolz darauf. Neben uns begann ein betrunkener Mann ihn zu fragen, welcher Elternteil von Phil denn jüdisch wäre. Phil meinte, seine Eltern wären beide Juden. Der Betrunkene bestritt diese Möglichkeit. “Entweder Mutter, oder Vater!” Ruhig wiederholte Phil seine Antwort ein paar mal. Dann kam mein Bus und ich verabschiedete mich. Ich wusste, es war etwas faul, aber ich die Situation nicht gut genug, um darauf adequat zu reagieren… Auf meine schuldige Nachricht antwortete er:

לא נורא, יש תמיד מקרים כאלה ‏בחיים…. ‏
כנראה ‏הוא שיכור.
הכל טוב, ‏אין לך עלמה להצתער

Kein Problem. Es gibt immer wieder solche Situationen im Leben. Er war wohl betrunken. Es ist alles ok, es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen kannst.

Und genau deswegen lerne ich Hebräisch. Damit ich Situationen deuten, die versteckte Wut und die Trauer verstehen lerne, und den Menschen im Alltag begegnen kann… Damit ich nicht nur zuschauen muss, damit ich eine Figur des Romans werde.