Heute war ein Tag gefüllt von Emotionen. Vor allem von Freude. Und Zorn. Freude, weil ich von einer Freundin auf ihre Farm eingeladen wurde, um gemeinsam Musik zu machen und zu arbeiten. Freude, weil ich gemeinsam mit einem italienischen Musiker die Befreiung der Italiener aus dem Faschismus mit einem gefühlvollen Bella Ciao gefeiert habe. Freude, weil ich einen Vortrag über Wälder in der Stadt/ Stadt-wälder von Freunden von mir sehen durfte. Freude, weil ich ein Teil eines Ökohaus-Projekts geworden bin und auf zwei dünnen Matratzen auf einem Kiesboden liege, den ich ausgelegt habe, umgeben von Mauern, die ich aus Stein, Lehm oder Beton gebaut habe, im Halbfreien, mit Grillen, jauchzenden Katzen und quakenden Fröschen ganz nah.
Doch daneben ist eben noch ein anderes Gefühl. Nämlich der Zorn. Über die unsere anhaltende Ignoranz gegenüber dem Schmerz unserer Erde. Über die Ausnutzung der Situation um die Scheiße der letzten Jahre nur noch weiter zum Kochen zu bringen. Als würden sie nur darauf warten, dass sie wie der Kompost ihres eigenen Kods, auf 70 Grad erhitzt werden um dann wieder zu Erde umgewandelt zu werden. Denn sie wird uns überleben.
Ich möchte einen Moment einstehen. Und danken. Meinen Freunden, die ihren Zorn zeigen. Die sich nicht damit zufrieden geben. Die ihren Schmerz nicht in sich vergraben und bei sich selber die Schuld suchen. Die den Schmerz fühlen, auch wenn sie ihn selber nicht jeden Tag erleben. Die die Münder aufreißen, und doch nicht gehört werden. Die nicht aufgeben, dagegen zu sein. Egal ob sie Recht haben oder nicht, sie zweifeln das Normal an, gehen in Diskussion und bringen ihr Gegenüber zum Schwitzen.
Aber warte mal, es herrscht doch Solidarität. Das Wort ist zu dem neusten Schmerzmittel der Pharmaindustrie geworden. Es schenkt uns den Glauben, wir haben es in der Hand. Indem wir brav folgen, Instruktionen jeden Tag auf’s Neue versuchen nachzuvollziehen und warten, bis alles wieder zum alten hingelenkt wird. Dass wir uns gesundheitlich solidarisch gegenüber stehen ist eine Sache. Doch wie wir diese Solidarität ausleben, scheint nicht diskutabel. Und das ist das, was mir weh tut. Es bauen sich Fronten auf zwischen den Meinungsparteien. Es herrscht, wie meine Mama so gerne sagt, kein Spielraum mehr…
Aber warte mal, es herrscht doch Solidatität. Gegenüber den armen großen Firmen, die den Wohlstand unseres Landes präsentieren.
Doch was hat das verdammt noch mal mit uns zu tun? Schon in der Schule habe ich von dem Spalt zwischen Arm und Reich gelernt und den Auswirkungen der menschlichen Eingriffe in die Natur. Es stand verdammt noch mal in meinen Schulbüchern. Und ja, es kämpfen im Kleinen Abertausende Menschen für einen Umbruch, es gibt Kritiken ohne Ende, Menschen auf den Straßen, Konferenzen, Streiks… Doch die politische Richtung bleibt die Gleiche… Und wer das bisher noch nicht sehen wollte, der wird wohl wieder eine Ausrede finden. Obgleich wir überrumpelt werden von all den Auswirkungen unserer Politik der letzten Jahre. Und da ist Lesvos mit den 20.000 Menschen in einem Camp, die sich keine zwei Meter Abstand leisten können, nur ein Beispiel von vielen. Es wird seit 2015 „nach einer Europa-weiten Lösung gesucht“.
Ja, ich glaube, dass aus dieser extremen Ausnahmesituation auch unglaublich viele schöne Dinge entstehen können. Menschen ziehen zurück auf’s Land, wertschätzen lokale Produktion, lernen das einfache Leben wieder kennen, hinterfragen ihre Träume und ihre Realität. Das Leben wird auf den Kopf gestellt und neue Herausforderungen kommen auf, die uns neue Perspektiven aufzeigen. Doch es gibt eine Grenze. Und diese Grenze wird schon lange übertreten.
Es ist nur noch eine Frage der Zeit.
Es ist kein Spiel mehr.
Es wird heißer.
Es brennt.




Jeden Morgen schnappe ich mir meinen Mitbewohner Non um eine Runde im Viertel zu drehen. Wir laufen durch die Straßen von Shapira, klettern an Zäunen hoch und pflücken die vergessenen Zitronen. Wir sammeln Holz und Blätter für neue Blumenkästen und Non zeigt mit das älteste, rot geschrichene Haus eines damaligen Scheiches, noch vor der Unabhängigkeit 1948. „Lauf für mich mit“ ruft mir eine Frau im Rollstuhl zu, nachdem ich sie lachend grüße.
Neben diesen Momenten der Idylle, gibt es Tränen, Wut, und Explosionen aufgestauter Energie. Die Kleine darf ihren Halb-Vater nicht berühren, sondern nur auf Abstand sehen. Sie kann nicht mit anderen Kindern spielen und muss ihre Freude, ihr Lachen, ihr Spiel und ihre Umarmungen auf die 3 sogenannt „erwachsenen“ Menschen reduzieren, mit denen sie hier zusammen lebt. Der Radius ist ein Haus mit zweieinhalb Zimmern und kleinem Hof mit Blumen und Kräutern. Außerdem haben wir die Straße zum Nachbarschafts-Fußballplatz und Zirkuszelt ernannt. Jeden Tag kommen neue Spiele auf, es werden Schatten-Planen und Blumenkästen gebaut, Jonglagebälle gebastelt, Pferde eines unfreundlichen Besitzers gefüttert und Gerüche geraten. Ich werde zur Fußballtrainerin, zum Trampolin, zur gefräßigen Katze und zur Speise des Löwen, die von den Wellen seines durstlöschenden Trankes überschwemmt wird. Die Kreativität wird verdoppelt und die Scham halbiert. Was zählt ist, dass wir es uns hier so angenehm wie möglich gestalten und füreinander da sind, auch wenn sich alles so abstrakt und unwirklich anfühlt. Und wenn ich ehrlich bin, ich lerne und spiele und erlebe und bin dankbar, dass ich irgendwo mithelfen kann.