Wenn alles einfach kurz stoppt

Meine Freundin Alaya ist da. Sie ist aus Deutschland gekommen um mich zu besuchen und diesen aufregenden Ort hier kennenzulernen. Was uns rasch auffällt als wir unsere Reisen planen: Die Hälfte ihres Besuchs hier sind Feiertage. Jom Kipur, Shabat und dann Sukot. Keine Busse, keine Geschäfte und alles Leben im Familienkreis. Am Abend vor dem Ruhetag wird alles stillgelegt und das bleibt so bis zum Sonnenuntergang des Folgetages.

Also entscheiden wir uns Jom Kipur in Jerusalem zu verbringen. Da soll noch am meisten los sein, denn dort leben die meisten praktizierenden Jud_innen. Wir kommen bei einem Freundes-Freund unter und ziehen nach dem Abendessen los. Ein ganz seltsames Gefühl, durch die nächtlichen Gassen zu streunern und an jeder Ecke eine kleine Synagoge anzutreffen mit weiß gekleideten Männern drinnen, und Frauen an den Seiten-Eingängen. Der Feiertag besteht aus nicht mehr als 24 Stunden lang zu beten, kein Schlaf und kein Essen. Es soll ein Tag der Härte sein. Während die Männer tief beschäftigt sind, schnappen sich die Kinder Bobbycars und rollen die Hauptstraße runter, denn an diesem Tag gibt es keine Autos. Nirgendswo. Das gilt auch für die Araber , die müssen sich an die Regeln der Staatsreligion halten.

Eine Woche später ist Sukot. Ein Feiertag, an dem alle Familien eine kleine Hütte auf ihrem Balkon oder vor der Tür aufbauen um ihr Leben für eine Woche nach draußen zu verlagern. Also mehr eine Feierwoche. Er soll an die Zeit erinnern, in der die Menschen in der Wüste in einfachen Hütten gewohnt haben, simpel, mit leichtem Dach und nahe zur Erde. Es ist ein Fest der Gemeinschaft. Die Suka ist offen für Gäste. Kinder kommen vorbei und fragen nach Süßem. Es ist ähnlich wie an Halloween, nur dass sie statt gefährlich aussehenden Masken, Kotletten-Löckchen und eine Kipa (Hütchen) tragen. Die Jungs sind eingepackt in eine schwarze Anzughose mit weißem Hemd, die Mädchen ganz in weiß. Sie singen Lieder und erläutern ihren Verwandschaftsgrad mit möglichen Bekannten aus dem Kibbutz.

Ich bin bei Abiya und seiner Familie eingeladen, den einleitenden Feiertag der Woche zu verbringen. Sie nehmen mich mit zu seiner Mutter in ein Kibbutz im Jordanland. Es beginnt, wie auch bei Shabbat, am Abend vor dem eigentlichen Feiertag. Mit dem Untergang der Sonne werden Handys weggepackt, und die Elektrizität wird nicht mehr angerührt. Ab sofort gelten die Feiertagsregeln. Diese Regel lehnt sich an das frühere Verbot an, Feuer zu entzünden – zusammen mit vielen anderen Regeln wurde sie relativ spät nach den originellen Schriften von „einer Gruppe von Weisen“ in der Talmud niedergeschrieben. Doch was im ersten Moment sehr streng klingt und von vielen liberalen verflucht wird, hat für mich in diesem Moment etwas sehr beruhigendes. Denn alle sind einfach nur da. Jetzt zählt einfach nur das gemeinsame Sein. Alles andere kann warten.

Wir setzen uns and den Tisch und Abiya beginnt ein ein Gebet zu sprechen/ singen. Er teilt frisches Brot aus und reicht einen Becher mit Wein rum. Während der Zeremonie ist Stille. Zumindest sowas in der Art. Alle ziehen kommunikative Grimassen und flüstern sich gegenseitig etwas zu, während sie die Gläser verteilen, nach etwas auf der anderen Seite des Tisches fragen und die Sitzordnung klären.
Vor 5 Minuten waren wir noch im Wohnzimmer, lautstark am Unterhalten. Und jetzt bin ich mittendrin in diesem Ritual, von dem ich nicht mal eine wage Vorstellung hatte, wie es aussehen würde.
Es ist wunderbar die Dynamik der Familie mitzuerleben, mit ihren wuselnden Kinder um mich herum, und der coolen Oma. Sie trägt 2-Zentimeter kurzes weißes Haar, hat markant gezeichnete Augenbrauen und vor der Zeremonie trug sie noch ein marrokanisches buntes Kleid.

Ich genieße von der Präsens. Von dem Gemeinsamen. Abiya hatte mich vorgewarnt, mir könne eventuell langweilig werden. An einem solchen Tag gäbe es wirklich nichts zu tun. Aber so geht es mir überhaupt nicht. Es erinnert mich an die Zeit in Argentinien, wo wir uns jeden Sonntag mit der Familie getroffen haben zum gemeinsamen Essen, Karten oder Fußball spielen, quatschen und Mate trinken. Für mich waren das ganz besondere Momente. Denn das waren die Momente, wo ich das Gefühl hatte, eine Familie zu haben. Wo ich einfach dem Geschehen zusehen konnte. Wo alle Zeit hatten. Wo Begegnung stattfand.
Doch ich erinnere mich auch, dass meine kleine Schwester dieses Treffen manchmal mehr als Pflicht anstatt von Genuss wahrgenommen hat. Sie hatte Freunde, die sich trafen und sie konnte nicht dabei sein. Und hier ist es nicht anders. Yuval, der älteste Sohn benutzt in Stille im
dunklen Zimmer sein Handy. Und als ich ihn bitte, einen Anruf zu tätigen, führt er mich ins Nachbarhaus, wo uns niemand sehen oder hören kann. Auch nicht die Nachbarn im Kibbutz.
Ich will recherchieren, wie ich noch heute Abend nach Bethlehem kommen kann. Auf der Karte schien es mir so nah, vielleicht 15 Kilometer. Doch es geht um etwas anderes. Wenn ich aus dem Kibbutz, eine jüdische Siedlung im Jordanland, hinausfahren will um zu einer palästinensischen Stadt zu kommen, muss ich mit mehr als einer Stunde rechnen. Ich muss nämlich erst einen Bus unter israelischem Namen nach Jerusalem nehmen, um dann von dort einen Bus zu nehmen, der von einem Araber gefahren wird. Bethlehem ist Rote Zone für Juden, liegt in der Zone A und ist damit unter Kontrolle der PA (Palästinensische Autorität). Das Problem ist nur, dass es bis zum Sonnenuntergang (ca. 19:00 Uhr) keine öffentlichen israelischen Verkehrsmittel gibt und der letzte arabische Bus von Jerusalem fährt genau um diese Zeit. Die Alternative wäre also ein vergleichsweise teures Taxi von einem palästinensischen Fahrer zu nehmen, der dann außerhalb vom Kibbutz auf mich warten würde.
Viel zu kompliziert! Ich bleibe
hier und fahre am nächsten Tag nach Sonnenuntergang mit dem Auto von Abiya zurück.

Die bergige Landschaft rrund Jerusalem ist auf dem Rückweg nur durch die Lichter der Häuser zu erahnen. Die roten Hausdächer der palästinensischen Siedlungen sind dunkel. Nur die grün beleuchteten Mosheen setzen ein Zeichen.
Ja. Ich war tatsächlich in einer jüdischen Siedlung im besetztem palästinensischen Gebiet. Während mich Yuval gestern durch das Kibbutz geführt hat, habe ich ihn gefragt, wie es denn für ihn sei, seine Oma hier zu besuchen. Er liebe den Ort, denn er habe einen großen Teil seiner Kindheit hier verbracht und er liebe seine Oma, aber er sehe gleichzeitig den Konflikt, den es mit sich bringt, als Juden in Palästina zu leben. Er würde sich wünschen, dass es zwei Länder gäbe (Israel und Palästina) oder dass alle gemeinsam leben könnten. Doch das scheint am heutigen Zeitpunkt noch wie ein Traum. Denn alle jüdischen Siedlungen einfach zu räumen und das Gebiet an die Palästinenser zurück zu geben würde großen Widerstand hervorbringen. Mittlerweile sind diese Gebiete das Zuhause von jemandem. Teilweise sind es die Folgegenerationen, die dort leben und mit der Besetzung des Landes in erster Linie nichts zu tun hatten. Doch wie die Ärzte so schon sagen: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist, es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.“ Dass hierfür eine Lösung gefunden werden muss, steht außer Frage. Doch wie komplex die Situation ist, wurde mir nochmal vor Augen geführt.

Abiya sitzt am Steuer und fragt mich, ob ich Angst hätte. Wir hatten gerade über die innere Unruhe der Israelis geredet, dass jederzeit ein neuer Angriff kommen könnte, dass sie jederzeit ihren einzigen sicheren Hafen verlieren könnten. Er wollte wissen, wie ich zu der Migrationspolitik und allgemeinen Situation in Europa stehe, und ob ich Angst hätte, dass auch wir unsere Rechte verlieren könnten, durch die Ankunft von so vielen Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen. Meine erste Reaktion ist: „Nein. Denn Angst bringt uns nicht weiter. Wir können die Situation nicht ändern. Menschen fliehen, weil sie keine andere Option sehen/haben. Wir können sie nicht aussperren, nur weil wir das Privileg haben, hier geboren zu sein. Das einzig Mögliche ist, eine Infrastruktur zu kreieren, in der sich Menschen willkommen fühlen und die Chance bekommen, ein Teil der Gesellschaft zu werden. Denn das jahrelange Einsperren der Menschen in Camps macht sie zu Zombies, macht sie wütend und hoffnungslos. Wir brauchen Orte der Verbindung, Möglichkeiten der Kommunikation und des Verständnisses füreinander. Nur dann können wir gemeinsam leben. Meine Angst gilt den Reaktionen der Deutschen, die sich von ihrer Angst leiten lassen, ihren hohen Lebensstandart zu verlieren.“ Klingt für mich erstmal nach dem einzigen Logischen. Doch wie stehe ich zu meinen Rechten als Frau? Denn natürlich sind nicht alle Migrant_innen bereit sich zu integrieren, alle kommen mit einem anderen Bild/ anderer Vorstellung eines Lebens im „Westen“. Israel sei das Land der Immigrantion. 1948 wurde lautstark an alle Juden der Welt verkündet, sie sollen kommen und sich niederlassen im heiligen Land. Sie sollen ein Zuhause haben.

Menschen kamen von überall her und alle sollten willkommen sein. Doch trotzdem herrscht in dem Land Rassismus, oder wie es heute jemand genannt hat: Ethnizismus (Unsere Kultur ist die Beste, alle anderen sind scheiße). Konflikte zwischen Kulturen sei etwas normales. Normal ist die Angst vor dem Anderen, vor dem Unbekannten. Schon immer wurden Kriege deswegen geführt. Und ich meine, das könne sich einfach so ändern?
Abiya leitet den Kurs an der Universität, an dem ich ab nächster Woche teilnehmen werde. Araber und Juden (und diesmal eine Deutsche, vielleicht Pantheistin) kommen zusammen und tauschen sich aus. Er hat den großen Willen, um für Verständigung zu sorgen und Brücken zu bauen zwischen sämtlichen sozialen Gruppen. Doch er weiß auch wie groß die Hürden sind. Ich bin dankbar, neugierig und aufgeregt, meinen gutmütigen aber auch unerfahrenen und wahrscheinlich doch recht naiven Blick auf die Dinge, neu zu erforschen. Und vielleicht ein bisschen besser zu verstehen, was es braucht, um Menschen die Angst vor “dem/der Anderen” zu nehmen.

Hier eine wunderschöne Musik von einem palästinensichen Oud-Spieler: Hewar – Mohsen Subhi

Geschichten in Kamuflage

Im Laufe der Zeit spreche ich mit vielen Menschen über ihre Zeit im Militär. Wenn zwei Israelis sich kennenlernen, wird erstmal abgecheckt, wo sie Dienst geleistet haben und ob sie sich nicht daher irgendwie kennen. Ich erinnere mich noch an so manche Geschichten…

Merav: „Die gesamte Schulsystem ist darauf aufgebaut, dich auf die Armee vorzubereiten. Ich hab es gemacht, ich wollte wissen, was es heißt, in diesem System zu sein. Ich wollte mich von seiner Brutalität überzeugen lassen. Und ich mochte tatsächlich meine Funktion. Ich habe junge Leute auf die Armee vorbereitet, eine Gruppe begleitet, Einzel-Gespräche geführt. Ich durfte 2 Stunden in der Woche meine eigenen Ideen einbringen, habe über Dumpster Diving und son Zeug mit ihnen geredet… in der Zeit habe ich in Shapira – im Süden von Tel Aviv gelebt, und das Zusammenleben war einfach genial.“

Auf einem gemeinsamen Spaziergang, wir stehen an der obersten Spitze eines Klettergerüsts, erzählt mir Shemer: „Ich war kein glückliches Kind. Schon davor nicht. Erst nach zwei Jahren Zivildienst habe ich mich getraut, etwas zu sagen. Habe versucht, entlassen zu werden. Ich habe mit der Psychologin geredet, doch sie hat mich nicht ernst genommen. Irgendwann habe ich es geschafft, in eine Auszeit geschickt zu werden. Als ich mich geweigert habe, zurück zu kommen, wurde ich ins Gefängnis gesteckt. Dort war ich ein paar Wochen bis der Albtraum endlich vorbei war.“

Udi raucht seine Zigarette. Wir sitzen auf seiner Terasse und er erzählt mir von allem, was vorher war. Bevor er auf einem Bauernhof lebte. Bevor er sich gesund ernährte, von Gewaltfreier Kommunikation hörte, seine Augen lernte zu heilen… „Damals lebte ich im Westjordanland. Hab dort studiert. Bis es mir reichte und ich in die Wüste ging. Ich war Teil des Krieges, habe Menschen sterben sehen. Ich war einfach kaputt danach. Unser gesamtes Volk ist traumatisiert von diesem Irrsinn. “

Während wir eine Wanderung durch die bergige Umgebung von Jerusalem machen, erzählt mir Yuval: „Ich hab dir ja gesagt, nicht alles am Zivildienst ist schlecht. Ich habe richtig viel gelernt. Was es bedeutet, Keyboarder in einer Band zu sein im Vergleich zu einem Solo-Piansisten. Ich bin aufgetreten, habe Musik gespielt, die ich sonst nie gespielt hätte. Nur die Zeiten, die ich in der Basis verbringen musste, die waren hart. Einfach dort sitzen, auf irgendeinen Bildschirm starren und nichts tun. Ich freue mich wenn es vorbei ist im November. Dann schneide ich mir die Haare wieder, so wie ich es mag. Vielleicht einen kleinen Iro mit Farben.“

Kurz vor Ende lade ich 3 Freundinnen zu mir in meinen Bus ein. Wir sitzen auf dem Holzboden, trinken Tee aus Keramiktassen von Tadita und Shahar enthüllt ihre Geschichte: „Ich hatte damals kurzgeschorenes Haar so wie die männlichen Soldaten. Ich war trainiert, hatte einen starken Körper, eine richtige Combat-Soldatin. Ich wollte mich beweisen. Nach der allgemeinen Vorbereitungsphase wurde ich in im besetzten Westjordanland eingesetzt. Ein paar Monate war ich dort. Ich habe gesehen, was es bedeutet, Menschen zu unterdrücken. Irgendwann ging es mir richtig schlecht. Ich wusste, dass ich da raus muss, doch ich wusste auch, dass meine Geschichte überzeugender sein muss, als die der anderen. Meine Eltern standen zu hundert Prozent hinter mir und haben gemeinsam mit mir gespielt. Ich habe vor der Psychologin geweint, Selbstmord angedeutet und mich von meinem Spiel selber so mitreißen lassen, dass ich in eine Psychiatrische Klinik mit Verdacht auf Psychose eingewiesen wurde. Es ging mir wirklich nicht gut, doch ohne Theater hätten sie mich nicht ernst genommen. Als mir die Tabletten gegeben wurden, habe ich sie unter meine Zunge gelegt und danach wieder ausgespuckt. Doch der Monat dort war gut für mich. Vor allem die kreativen Therapien, das tanzen und malen, die Musik. “

Yarin legt seine Oud weg und dreht sich eine Kippe. Er stellt sich auf dem balkon und spricht von dort zu mir. „Ne gute Zeit war’s, als ich einer der Wächter an der Grenze zu Ägypten war. Ich hab den ganzen Tag geraucht, n Buch geschrieben und mit anderen Soldaten Blödsinn gemacht. Ein paar von ihnen sind immernoch gute Freunde von mir. Beschissen ist es, wenn Krieg ist. Wenn alle Soldaten gerufen werden um zur Grenze von Gaza zu kommen um die Tunnel zu zerstören und das zu tun, was getan werden muss. Am schlimmsten war es, als ich der Mutter von nem Freund sagen musste, dass ihr Sohn umgekommen ist.“

Die Geschichten sind unendlich. Nicht zu vergessen diejenigen, die nach der Schule das Land verlassen haben, um den Zivildienst zu umgehen.

Mit der Zeit gewöhne ich mich an die Maschienengewehre, die Passkontrollen, die Kamouflage-gekleideten Bussnachbarn. Daran, dass jede Person ihre Geschichte mit der Armee hat, ob in der Westbank, im Gefängnis, in der Psychiatrie, bei der Jobsuche oder im Ausland…

Mittendrin

Warum ich Hebräisch lerne, wenn ich ja gar nicht vorhabe hier zu bleiben? Wenn ich ja eh wieder gehe..? Warum der Aufwand, die Mühen, die vielen Momente des Unverständnisses? Warum wieder mal in Kinderschuhen stehen und jedes Wort zig Male hören, bis es locker leicht aus meinem eigenen Mund kommt? Gute Frage… Für mich ist es einer der Wege, mich Teil einer neuen Welt zu fühlen. Es bedeutet für mich, Interesse zu zeigen für mein Gegenüber. Ich möchte die Menschen kennenlernen mit ihren Gewohnheiten. So wie ich es liebe das Zuhause von jemandem kennenzulernen und die Bilder an der Wand zu bestaunen, genauso genieße ich es, jemandem zuzuhören in seiner Muttersprache. In ihr klingen so viele Menschen und Erlebnisse, Emotionen und Erinnerungen mit, die auf englisch (meistens ist das nicht die Muttersprache) irgendwie verloren gehen. Ich wünsche mir, dass die Menschen einfach weitermachen in meiner Gegenwart. Ohne den Schalter umzulegen. Ich will ihre Witze verstehen, sie in ihrer Komfort-Zone erleben und ihren Alltag teilen. Ich will ein Teil sein. Ich bin nicht gerne Gast. Ich suche immer nach dem Gefühl, mich zuhause zu fühlen. Auch wenn ich weiß, es ist für beschränkte Zeit. Wenn ich irgendwo bin, dann bin ich dort auch wirklich. Ich stehe mit den anderen am Morgen auf, wir arbeiten, kochen, essen, putzen, reden, schweigen, tanzen, sind müde, warten, schlafen. Ich will nicht nur Zuschauen, sondern meine eigenen Gewohnheiten mitbringen, meine Bedürfnisse erfüllen und meine Aufgaben haben. So wie überall anders auch. Es ist ein bisschen, wie mitzutrinken, wenn manche Menschen auf ein Fest gehen. Sie wollen das selbe Energie-Level haben, die gleiche Stimmung teilen. Manchmal fühle ich mich hier genauso. Die Sprache ist mein Alkohol. Ich muss warten, bis ich alt genug bin und bei allem mitmachen darf.

Ich genieße es, in einer Gruppe zu sitzen, ihre Dynamik zu beobachten, zwischendrin Wörter aufzuschnappen und mitzulachen. Sonst fühle ich mich oft wie die Leserin einer Geschichte. Die priviligierte Leserin einer komplexen Geschichte, die das Buch immer wieder zuklappen kann.

Vor ein paar Tagen habe ich mit einer Freundin aus dem Iran telefoniert. Sie meinte, dass sie sich so sehr wünscht, wie ich mit den Händen an der frischen Luft zu arbeiten. “Aber warum machst du es denn nicht?” frage ich sie. Die Antwort ist einfach. Meine Privilegien werden ihr verweigert. Einfach so irgendwo auf eine Farm fahren, es scheint ihr unmöglich… “Was fühlst du, wenn ich dir von all den Restriktionen erzähle, von den Problemen, der Aussichtslosigkeit, dem Aktivismus, der konstanten Überwachen und der ständigen Angst, wegen dem kleinsten Widerstand im Gefängnis zu landen?”
“Frustration und Enttäuschung”, meinte ich. “Es bringt mich ein Stück näher zur Realität. Weckt mich auf. Und gleichzeitig fühle ich diese Realität so weit weg von mir. Als würde ich ein Buch lesen.” Um ihre Situation wirklich verstehen zu können, müsste ich in ihrem Körper stecken, denn es ist kaum möglich, meine Privilegien abzulegen und wirklich die Situation von ihr nachzufühlen. Ich würde so gerne! Aber was bräuchte es? Haare färben? Monate lang in der Sonne sein? Ein Kopftuch tragen? An dem besagten Ort wohnen und Geld verdienen? Kontakt zu meinem sicheren Hafen in Deutschland abbrechen? Nationalität wechseln und eventuell sogar Religion? Wie weit müsste ich gehen um mein Umfeld genauso zu erfahren und vorallem, genauso behandelt zu werden…?

Einmal habe ich eine schwarze Maske auf einer Feier getragen. Fast niemand kannte mich. Alle wussten, dass ich dazugeladen war, doch kaum einer traute sich, mich anzusprechen. Manche baten mich, die Maske abzusetzen, andere ignorierten mich… Ich habe mich alleine gefühlt. 4 Stunden habe ich getragen, dann wollte ich es einfach nicht mehr aushalten, wollte einfach nicht mehr so gesehen werden. Ich nahm meine Maske ab und die Gruppe fing an mit mir zu reden. Ich fühlte mich wieder zugehörig…

Wenn ich etwas dazu lerne, mich entwickel, dem erfüllten Leben ein Stückchen näher komme, geht es für mich meistens darum, Vertrauen zu haben. In mich selber und in die Welt. Angst abzulegen, Vertrauen aufzubauen. Aber wie weit kann das für jemanden stimmen, der im Krieg aufwächst? Wenn der Hass so nah ist, und die Trümmer so hoch…? Wenn wir wissen, dass es nicht alles wieder gut wird. Zumindest nicht hier, nicht zu dieser Zeit…
Ist es ein Privileg um über inneren und äußeren Frieden nachzudenken?

Selten war ich dem tatsächlichen Geschehen von derartiger Brutalität so nah. Mein Herz schmerzt, wenn ich an das Gespräch über Hebron heute nachdenke. Jeden Tag dringt das israelische Militär dort in Wohnungen ein, zu unbegründeten Zeiten, macht den Bewohnern Angst, schüchtert sie ein. So halten sie die Gegend in Kontrolle und halten die Bewohner klein. Seit 1967 (nach dem 6 jährigen Kireg) ist Hebron Teil der besetzen Gebiete (Gaza, Golan Höhen, West-Jordanland) und demnach 24/7 unter Beobachtung durch das israelische Militär. Siedler, hauptsächlich mit europäischen Wurzeln (Ashkenazi) begonnen, ihre Häuser dort zu bauen. Auch wenn es offiziell in dem Vertrag mit der UN nicht erlaubt ist, wird in diese Vorhaben nicht eingegriffen und die Fälle werden ohne Folgen schnellst möglich wieder vergessen. Als dann das Argument aufkam, dass sie ja Eukalyptusbäume pflanzen würden, die gut für die Umwelt seien, war ich einfach nur noch traurig.

(Wer mehr über die Besetzung lesen möchte: https://972mag.com/)

Seit ich in der Stadt wohne, begegne ich diesem Rassismus auch im Alltag. Gestern zum Beispiel saß ich an einer Bushaltestelle neben Phil, einem äthiopischen jungen Menschen. Ich mochte seine Augen. Lange habe ich bei einem Fremden nicht so ein Vertrauen gespürt. Oft sind die Menschen, denen ich hier auf der Straße begegne, sehr direkt mit ihrem Interesse, bis zu aufdringlich und grenzüberschreitend. Phil wirkte irgendwie schüchtern und einfach richtig nett. Vor einem halben Jahr hatte er ein Restaurant aufgemacht, er wirkte so glücklich und stolz darauf. Neben uns begann ein betrunkener Mann ihn zu fragen, welcher Elternteil von Phil denn jüdisch wäre. Phil meinte, seine Eltern wären beide Juden. Der Betrunkene bestritt diese Möglichkeit. “Entweder Mutter, oder Vater!” Ruhig wiederholte Phil seine Antwort ein paar mal. Dann kam mein Bus und ich verabschiedete mich. Ich wusste, es war etwas faul, aber ich die Situation nicht gut genug, um darauf adequat zu reagieren… Auf meine schuldige Nachricht antwortete er:

לא נורא, יש תמיד מקרים כאלה ‏בחיים…. ‏
כנראה ‏הוא שיכור.
הכל טוב, ‏אין לך עלמה להצתער

Kein Problem. Es gibt immer wieder solche Situationen im Leben. Er war wohl betrunken. Es ist alles ok, es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen kannst.

Und genau deswegen lerne ich Hebräisch. Damit ich Situationen deuten, die versteckte Wut und die Trauer verstehen lerne, und den Menschen im Alltag begegnen kann… Damit ich nicht nur zuschauen muss, damit ich eine Figur des Romans werde.

Das Leben, ein Projekt. Oder: Die Einsamkeit im Heldentum

Eins haben die Partnerschaften, denen ich begegne, gemein. Sie haben ein gemeinsames Projekt, eine gemeinsame Leidenschaft, ein gemeinsames Ziel. Sie kreieren sich einen Ort, an/mit dem sie sich wohl fühlen. Sie haben kein leichtes Leben, ein Weg mit vielen Hürden, die zu überwinden sind, aber sie sind lebendig. Sie bauen sich die Realität, die sie sich wünschen. Sie trauen sich.

Ich erlebe hier gerade ganz nah, wie es ist, diesem gemeinsamen Ziel zu folgen. Gemeinsam durch harte Zeiten zu gehen. Kein wirkliches Zuhause zu haben. Keinen Platz, wo man sich ganz fallen lassen kann.

Ich bin bei Mor und Tamar, zwei ganz besonderen Menschen. Sie bauen seit 2 Jahren an ihrem Haus. Sie schlafen draußen in einer kleinen Kabine oder im Zelt auf dem Hof. Im Winter tragen sie etliche Schichten an Klamotten und selbst drinnen Gummistiefel, weil die Böden aufgeweicht sind. Sie haben die Küche am einen Ende des Hofes und die Dusche am anderen. Immer kommen Leute. Sie helfen gerne, aber sie blicken auch auf das Projekt wie auf ein Denkmal, eine Touristenattraktion, inklusive denjenigen, die es durchführen. Sie sehen Helden vor sich. Sie sehen nicht die Tränen, den Frust, die Wut, die Angst, die Einsamkeit von zwei Menschen, die ihren ganz eigenen Weg gehen.

Das Haus soll mit der Natur im Einklang sein. Sie wollen es so weit wie möglich aus natürlichen oder recycelten Materialien bauen, daher ist die Grundstruktur aus Lehm. Zusätzlichen Halt geben die etlichen alten Autoreifen, die sie angeschleppt, mit Sand gefüllt und daraus drei der Außenwände gebildet haben. Die vierte Wand wird nur halb hoch und dafür im Kontakt zum Gewächshaus sein, das an das Haus anschließt. Durch das Abwasser aus der Küche und Dusche werden diese Pflanzen genährt. Ihre Energie bekommen sie durch eine Biogasanlage, die an ihre Toilette anschließt. Sie arbeiten mit einem Gärtner und einer Architektin zusammen um dieses sogenannte Earth ship (Michael Reynolds) Realität werden zu lassen. Es ist klein und in einem alten Pferdestall versteckt, denn es entspricht nicht den Bauvorschriften.

Nach ein paar Tagen hier kann ich nachempfinden wie es ist, eine Attraktion zu sein. Ich fühle mich ähnlich bei jeder neuen Person, der ich begegne, die mir sagt, wie großartig mein Hebräisch ist und wie süß ich doch bin. Wie eine Schauspielfigur, deren Skript schon festgelegt ist. Immer wieder auf’s Neue erkläre ich wo ich herkomme, was ich hier mache und warum ich mich für Israel entschieden habe. Dabei sind diese Fragen für mich weit weg von jener Realität. Ich fühle mich weniger Deutsch als irgendetwas anderes (außer bei der Arbeit, ich kann nicht anders als genau zu sein). Und ich vergesse zwischendrin, warum ich eigentlich hier bin, denn mein Grund ändert sich jeden Tag. Es gibt nur eine Konstante, die bleibt: Hebräisch lernen. Wo ich am Anfang über andere Kulturen lernen wollte und wie Konflikte zwischen ihnen aussehen, will ich jetzt einfach hier sein, erleben, und mich selber kennenlernen. Wie im Spiegelkabinett zeigt mir jede neue Person, der ich näher komme, wer ich bin und wie ich wirke. Sie eröffnen mir Türen zu neuen Realitäten, die ich zuvor nur aus Büchern kannte. Sie reden von Themen, die bei mir Magengrummeln auslösen, die ich als Tabu abgespeichert habe. Oder sie zeigen mir ihre Vorstellungen von Beziehungen. Gelebtes Begehren und folglich genauso ein offensichtlicher Streit vor meinen Augen. Wie ein Film. Nur eben Realität.

Auf der Mangoplantage hab ich mich wie Aschenputtel gefühlt. Kein Fortschritt zu sehen, keine Entwicklung. Vielleicht im nächsten Jahr, aber nicht direkt. Alles wird sich wiederholen. Das Unkraut wird nachwachsen. Die Bäume werden auf’s Neue beschnitten werden müssen um genügend Mango zu tragen. Ich arbeite um den Verkauf vorzubereiten. Um dann genug Geld zu verdienen um mir Essen zu kaufen. Das fühlt sich zu einseitig an.

Das gemeinsame Bauen tut mir richtig gut. Wenn ich draußen arbeite, Zement anrühre, auf Wände klettere und ihn in die Lücken fülle, in Erde wühle, Nägel in Holzplatten schlage, Mauern baue und in der Mittagshitze schwitze, geht’s mir gut. Ich habe weniger Hunger, bin wach und energetisch, fühl mich wohl in meinem Körper, habe abends müde Beine und kann die Pausen genießen. Ich bin frei, kann arbeiten so lange ich will, so viel ich will. Ich arbeite zusammen mit anderen, wir reden, wir reden nicht.

Heute wurde ich mir wieder bewusst, dass ich aus der Perspektive einer Reisenden erzähle, die jederzeit weiterziehen kann. Die sich nicht mit den politischen Hintergründen rumschlagen muss, deren Pass überall freundlich gesehen wird. Die immer die Möglichkeit hat, einfach zurück zugehen, wenn sie genug hat und einen sicheren Hafen in Deutschland hat, mit Menschen, die sie lieben und die zu ihr halten. Nur einmal hat hier jemand auf meine deustche Nationalität reagiert, als hätte ich die Schuld geerbt, alle anderen waren großzügig und herzlich. Ein bisschen ist es, als würde ich wie Bastian in eine Geschichte einsteigen, ich erlebe sie in vollen Zügen, ich sauge jeden Moment auf, freue mich über jedes Mittagessen und jeden Granatapfel, über jede Umarmung und nette Begegnung, aber ich bleibe eine Gastfigur, die irgendwann die Bühne wieder räumen wird. Mah ze nisha? Und was bleibt dann?

Resonanz

Ein Wort, das immer mehr Bedeutung in meinem Leben bekommt. Vorallem hatte ich das Wort bisher im Zusammenhang mit Klangkörpern. Wobei ich dabei mehr auf das Wort Klang, als auf den zweiten Teil geachtet habe: Körper. Bzw. Verkörperung von dem, was ich ausstrahle. Vor ein paar Jahren habe ich verstanden, dass beim Gesang das, was ich von mir gebe, in meinem eigenen Klangkörper Resonanz findet (bzw. finden kann wenn ich nicht zu viel Druck gebe, wenn ich eine Einheit bin). Und jetzt erlebe ich die Bedeutung von Resonanz im Kontakt mit Menschen. Nicht mit allen kann ich eine Einheit bilden. Nicht bei allen finde ich Resonanz. Im Hebräischen sagt man: „meshane makom, meshane mazal“ Verändert sich der Ort, verändert sich das Glück. Gestern bin ich wieder zurück ins Zentrum von Israel gefahren und jemand meinte zu mir, ich wirke viel geerdeter. Als wäre ich der Realität begegnet. Wie Recht er doch hat. Ich bin einer Realität begegnet, die ich nicht die meine nennen möchte. Ich wusste von dem ersten Moment an: Dieser Ort wird niemals mein Zuhause sein.

Bevor ich vor einer Woche in die Wüste fuhr, dachte ich noch, dass mein Leben gerade zu sehr einem Traum/ einer Geschichte ähnelte. Es war zu schön um wahr zu sein. Und Bam! Here we go. Endlich, wonach ich mich so lange gesehnt habe. Ich war doch diejenige, die unbedingt DIE KULTUR UND ALLE IHRE SEITEN kennenlernen wollte. Ich bin doch diejenige, die gerne tief eintaucht und Dinge pur und unverpackt erlebt. Da hab ich es! Menschen, die sich anzicken, Vögel, die mich ankacken, Hängematten, für die ich zu schwer bin und Lebensmittel, die meinen Magen in Schach Matt setzen. Nachdem ich wieder einigermaßen auf beiden Beinen stehen konnte, hab ich meinen Sachen gepackt und bin abgezogen. Keine Antsalten, im Laufe des Tages mit dem Auto weggefahren zu werden. Nein. Einfach nur noch weg. Keine Sekunde länger wollte ich bleiben. Weg von dem Ort, der mir meine Kreativität nimmt, wo meine Präsenz schweigsam toleriert wird oder besser gesagt, ich zu jedem möglichen Moment einen giftigen Komentar bekomme. Weg von dem Ort, an dem das Gemüse zu Neige geht und ich verurteilt werde, die letzte Aubergine zu kochen. Weg von dem Ort, an dem ich draußen im Wind sitze und die anderen drinnen mit Ventilator. Es gibt Menschen, mit denen gibt es einfach keine Resonanz. Oder eben eine sehr raue, abgehackte schrille. Kein warmes Gefühl, keine Geborgenheit, kein Genuss vom gemeinsamen Klang. Und? Das ist ok. Ich muss da ja nicht sein. Ich habe alle Möglichkeiten, einfach zu gehen. Ich bin von niemandem dort abhängig. Ich bin niemandem etwas schuldig. Das Einzige was zählt, ist, dass es mir gut geht. Das ist Oberstes Gebot. Und dann kommt der Rest von selber. Dann bin ich bereit, hart zu arbeiten, auch für andere. Sofern ich weiß, meine Hilfe ist deren Glück.

Ich bin nicht nur geerdeter, mein Kopf ist auch viel klarer. Ich arbeite effizienter und sinnvoller, ich weiß, was ich zu tun habe. Ich freue mich Maya und Udi zu helfen bei ihrem Herzensprojekt: Ein Haus aus Lehm zu bauen.

Ich glaube zum ersten Mal ganz bewusst zu erlebt zu haben, wie es sich sich anfühlt, jemandem etwas Schlechtes zu wünschen. Ich hatte einen richtigen Hass auf die Leitung Freiwilligen, wollte Rache schieben, auch wenn ich wusste, dass auch er nur Liebe sucht und irgendwie seinen eigenen Wert vor sich und anderen beweisen muss… Aber ich hab mich dabei nicht schlecht gefühlt. Mir war einfach total klar: Wir passen nicht zusammen. Ich wusste, ich bin nicht falsch. Es liegt nicht an mir, sondern an unseren Gegenpolen, die wie zwei Magnete sich abstoßen.

Ich war so verbunden mit meinem eigenen Bedürfnis, dass ich genau wusste, was ich will. Obwohl es mir nicht wirklich schlecht ging, war mir klar, dass ich bald wieder gehen werde. Die Frage war nur wann. Bis dahin habe ich habe mich fokussiert, auf das, was es gab. Ich habe mich stundenlang vor meine Hebräisch-Hefte gesetzt, mir neue Lernstrategien ausgedacht und mit der anderen deutschen Freiwilligen Christina unsere kleine Oase aufgebaut. Und nachts durfte ich in einer wunderschönen Jurte schlafen mit Lehmboden, einem Gerüst, Netz und getrockneten Palmblättern darauf. Es gab sogar eine Massagebank, auf die ich mich als Probantin für Christinas Massagekünste legen durfte. Beim Aufwachen fiel mein Blick geradewegs auf den Sonnenaufgang und zum Schlafengenen gab ich Kerzenlicht. Nah zur Jurte stand eine Außendusche zu der ich ohne Kleidung gehen konnte. Danach hat mich der Wind getrocknet. Es war egal, ob ich noch Sand an den Füßen hatte wenn ich zur Tür hinein kam, denn in der Wüste gibt es Sand, wie Plastik in der Stadt. Du wirst ihn eh nie los.
Für den Weg zur Küche
hatte ich die Stirnlampe dabei, die mir der Argentinier aus Beit Hilel geschenkt hatte. Ich wurde oft genug gewarnt vor Schlangen und Skorpionen aber nur einmal bin ich einem Tier begegnet, das mich vor Schreck zurückrennen lies. Komplett diffus ist es rumgerannt, wie eine durchsichtige Spinne mit langen Fühlern auf dem Kopf. Oiweiwoi! Ich konnte nicht anders um doch nochmal aus der Tür rauszuluken und mit Faszination zu betrachten, was mir da begegnet war.

Der einzige Shabat, den ich dort verbracht ahbe, war ein besonderer Tag für mich. Ich habe mich auf den Weg gemacht in die Dünen hinein. Hoch hinauf und mit weitem Blick. Nichts anderes als Sand und vertrocknete Wüstenblumen. Im Hinterkopf die Vernunft, die sagt nicht zu weit zu gehen, denn anscheinend sieht die Wüste niemals gleich aus. Jeden Tag bekommt sie eine andere Form und du deine Spuren werden vom Winde verweht. Also genau so weit gehen, dass ich keine Zivilisation mehr sehe, egal in welche Richtung ich blicke, und trotzdem so nah, dass ich weiß, der Stand der Sonne weist mir den Weg zurück.
Auf
dem Weg durch die hellbraune Hügellandschaft bin ich etwas begegnet, das ich so noch nicht kannte. Einem Ort mit so wenig Hall, dass das eigene Geräusch im Wind verfliegt und nichts davon bleibt.
Einer vollkommen trockenen Stille.
Jede Bewegung meines Körpers fühlt sich
ganz nah an und so momentan. Als gäbe es kein vorher und kein nachher. Ich erinnerte mich an meinen Kontrabasslehrer, der in der Klasse einmal fragte, ob wir manchmal eine innere Stille erlebten. Und ich glaube, das kenne ich nur ganz selten. Vielleicht sogar nie. Und hier erst recht nicht. Andauernd bin setze ich mich mit Dingen auseinander, die neu für mich sind. Ich übersetze meine Gedanken ins Hebräische und mein Kopf ist ein Computer, der sich nach Lüftung sehnt. Aber zwischen den Dünen habe ich sie gespürt. Hier konnte ich Ruhe finden. Hier konnte ich mir begegnen. Und zwar meinem Kern.

Ich will gerne nochmal zurück in den Süden. Eine Wanderung machen für einen ganzen Tag, dort entlang laufen und dem Nichts begegnen. Ich muss an Bastian aus der unendlichen Geschichte denken. Alles was in der Wüste an einem Tag passiert ist, ist in der Nacht wieder verschwunden. Jeder Tag war wie ein Neuanfang…. Ich denke viel an die Unendliche Geschichte und an die Wünsche, die uns leiten. Vielleicht ist das auch eine Art Resonanz. Ich weiß jetzt zumindest noch besser, für wen ich gerne arbeite, wer mir gut tut und wer mir einfach egal ist.

WüstenGrüße

Endlich ist es soweit. Ich bin mitten in der Wüste!
Ich stolpere aus dem Bus, die Hände voll mit Vokabelheft, Nüssen, Wasser und Geige. Schnell hol ich noch den Rucksack raus, dann seufzt der Bus, die Türen gehen zu und ich bleibe alleine zurück.
Ich stehe da, mein Zeug verstreut im Sand und mein Blick in der Weite.

Um mich herum ist nichts außer ein paar Strommasten und einer Tankstelle. Und eine Bushaltestelle, aus Beton gebaut und mit einem deutschen Wort verziert: “Verbunden”.

Genauso fühle ich mich gerade. Verbunden mit den Menschen, die ich in den letzten Wochen kennengelernt habe, mit der Natur und mit meinen Sinnen. Alles fühlt sich richtig an.

Schon von Weitem erkenne ich das Auto, das mich zu meinem nächsten Zuhause bringen soll. Ein nettes Gesicht begrüßt mich. Wir fahren durch die leeren Straßen, ab und zu kommt uns ein Auto mit jungen Soltaden entgegen. Wir kommen bei der Farm an und meine romantischen Gedanken an die Wüste verfliegen in Sekundenschnelle. Vor meinen Augen Coca Cola, eine Bong, Bier, laufende TV-Serien auf den Handys, trübe Gesichter. Ich mache den Kühlschrank auf und mir kommt der Geruch von Tunfisch entgegen. Die Leute sind nett.. Glaub ich… Anders… Also sie sind wirklich nett. Aber auch wirklich anders… Ich bin überrumpelt und ziehe mich zurück, packe mein Tagebuch auf und denke nach, mit wem ich reden könnte. Wie würde mich verstehen…?

Die letzten Wochen hatte ich das Gefühl, Dingen zu begegnen, die mit meinen Sehnsüchten und inneren Wünschen resonieren. Der Umgang mit den Menschen war achtsam, interessiert und ehrlich. Das Leben sehr einfach, und doch so erfüllend. Ich denke an die letzten Tage in Olesh zurück… Gestern früh war ich recht früh aufgewacht und noch im Bett habe ich Geige gespielt und gesungen. Dann bin ich gemeinsam mit Mor zur Außenküche gelaufen, um unser Frühstück vorzubereiten. Weiter ging es durch eine Olivenbaum-Passage zu einem sumpfigen Teich. Beim Berührend es Bodens kamen immer weider Blasen an die Wasseroberfläche. Wir haben uns gegenseitig mit Schlamm eingerieben und die Libellen beobachtet. Mors dunkle Augen sahen traurig aus.
Raus aus dem Teich und rein in die Dusche zwischen Bananenbäumen. Dann auf einen Feigenbaum geklettert (anscheinend war es kein Apfel, den Adam gegessen hat, sondern eine Feige – ich bin dem Gerücht noch nicht weiter auf den Grund gegangen) und auf dem Weg noch einen Granatapfel gepflückt. Barfuß Hand in Hand zurück zum Haus durch den Sand. Währenddessen konnte iche s kaum glauben. Ich kam mir vor wie im Paradies.

Und jetzt scheint diese Zeit vorbei zu sein. Ich stehe dunklen, unglücklichen Gesichtern gegenüber.

Wenn ich nicht am Reisen wär

Ich frage mich, wie ich diese Orte wahrnehmen würde, hätte ich täglich Verpflichtungen und müsste für mein Geld kämpfen. Könnte ich es genauso genießen? Würde ich mich genauso frei fühlen?
Seit 10 Jahren (mit dem Beginn der Regierung von Netanyahu) wird es hier
finanziell immer schwieriger. Alles Land ist verkauft und die Mieten steigen. Das Leben ist einfach fucking teuer.

In meiner Unbeschwertheit und finanziellen Unabhängigkeit kann ich das Land genießen, wie ich es selten irgendwo erlebt habe. Ich begegne lauter Menschen, die sich diesem Schicksal widersetzen und sich alternative Lebensweisen aufbauen. Sie suchen den Kontakt zur Natur und inspririeren mich mit ihrem Wissen über Pflanzen und natürlichen Baumethoden, ihren Ideen über Ernährung und Umgang mit dem Gegenüber. Sie sind offen und ehrlich in ihrer Art zu kommunizieren und zeigen Mut, einen Weg zu gehen, der ihren Bedürfnissen entspricht.

Immer wenn ich in die Stadt nach Ramat Gan fahre bin ich kurz irritiert. Alles scheint viel schwieriger, liebloser. Keine der Wohnungen, die ich bis jetzt besichtigt hatte, spricht mich wirklich an. Nirgends fühle ich mich wirklich wohl. Und das Verkehrssystem macht mich wahnsinnig.

Ich bin wieder einmal auf Wohnungssuche. Bepackt mit meinem Rucksack, weiß nicht, wo ich die Nacht schlafen soll. Ich bin schon stundenlang unterwegs mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weil ich immer wieder an der falschen Haltestelle zu stehen scheine oder mir der Bus vor der Nase weg fährt. Jetzt habe ich endlich die richtige Haltestelle gefunden. Es ist heiß und ich bin einfach nur müde. Der Bus kommt und ich bin so überrascht über sein Auftauchen, dass ich total unvorbereitet mein Zeug in meine Arme stopfe und mir alles aus den Händen fällt. Während ich dabei bin, die Dinge wieder aufzuklauben, seufzt der Bus und fährt er weiter. Nochmal 20 min zu warten. Ich kann nicht mehr. Wieso ist das so schwierig?
Ich denke darüber nach, dem Typen mit der Hundewohnung zuzusagen. Es fühlt sich nicht richtig an, aber es scheint keine Alternative zu geben. Ich hole mein Handy raus und stecke es wieder weg. Jetzt gehe ich erstmal Hummus essen, Tagebuch schreiben, mein Handy aufladen und Energie tanken. Und dann sehen wir weiter.

Am späten Nachmittag besuche ich eine weitere potentielle Mitbewohnerin (40 Jahre alt). Es ist nett und irgendwie gleich sehr normal. Die Wohnung ist mit dunklen Möbeln bestückt, der Boden aus kaltem Stein. Kaum etwas Persönliches steht rum. Schnell ist klar, dass männlicher Besuch nicht gerne gesehen ist. Die Wohnung ist nur für Frauen. Und wenn ich frage, was für sie ein respektvolles Zusammenleben ist, sieht sie keinen Grund das weiter zu erläutern. Sie meint, wir wüssten doch alle, was respektvoll ist und was nicht…
Trotzdem verabschiede ich mich zufrieden. Auch sie wirkt wie eine super nette, offene und warme Person, die mich mit einer kräftigen Umarmung verabschiedet.
Also mache ich mich auf den Weg zu einer letzten Besichtigung. Als mir die Wohnungstür geöffnet wird und mein Blick auf die total schrägen Schallplatten-Recycling-Bilder an der Wand werfe, ist mir sofort klar, dass ich hier einziehen werde. Ich bin so froh, durchgehalten zu haben um wirklich das zu finden, wo ich mich wohl fühle.

Zauberschmaus #3

Jeden Morgen gibt es bei mir erstmal 2-3 Mangos. Dann nach der Arbeit einen Salat aus Tomaten und Gurken mit einer Sosse aus Tahin, Wasser und Zitrone. Wer es besonders aromatisch will, haut noch Knoblauch und Olivenöl rein. Diese zwei Elemente sind quasi die Standardbeilage zu jedem Essen. Bei mir gibt’s das dann mit Quinoa oder Buchweizen-Quinoa-Pfannkuchen und angemacht mit Granatafelsirup. Dazu zum Abschluss Choko-SumSum, in Mischgetränk aus Carob, Sesam, Wasser und Dattel – Spezialrezept der Familie. Gestern Mittag gab es eine eine ganz besondere Ausnahme: Weizenfladen mit Zatar.

Zatar (Satar – ausgesprochen mit stimmhaftem) ist eine Pflanze, die aus der Thymian-Familie kommt und gerne mit Sesam, Salz, Olivenöl und Zitrone gemsicht wird. Dann wird sie auf alles mögliche geträufelt; bei den Druz gibt es ihn mit Käse, und hier eben auf arabischem Pfannkuchen. Sau lecker! und da ich in Beit-hilel mehrere Stunden damit verbracht habe, Zatar vom Stiel zu entfernen, schätze ich das Gewürz umso mehr.

Wenn ich all diese Dinge in Deutschland essen würde, käme ich mir wie eine Königin vor. Bzw. Ich korrigiere mich: Ich fühle mich wie eine Königin. Auch hier. All die Früchte, die Gewürze, das frische Gemüse und die Nüsse…
Ich genieße sie jeden Tag!

Da Israel hauptsächlich von der Religion als Kultur geprägt ist, gibt es eigentlich keine typischen national-Spezialitäten oder Bräuche. Das kulturelle Erbe entspringt der Torah und den Bräuchen des Judentums. 

Ist das in Deutschland so anders? Wenn ich an Weihnachten und Ostern denke, unsere größten Festlichkeiten, fällt mir auf, wie tief das Christentum verankert ist. Der Kalender richtet sich danach. Die Geschäfte. Die Musikant*innen. Sogar meine halb-türkische Freundin feiert Weihnachten…

Die meisten Nicht-Gläubigen nennen sich trotzdem Juden, denn das ist die Kultur, mit der sie sich verbunden fühlen und dessen Traditionen sie folgen. Und ich glaube, was nicht zu unterschätzen ist: so werden sie auch von der Außenwelt gesehen. Einmal Jude, immer Jude…

Jeden Samstag wird hier Shabbat gefeiert. Es ist, als würde die Welt für einen Moment stehen bleiben. Keine Busse, keine Geschäfte; das ganze Land auf Pause. Es war Teil der Abmachung bei der Gründung eines jüdischen Staates. Doch viele der jungen Leute, größtenteils in Tel Aviv, willen diese Tradition immer mehr loslassen. Also gibt Nachtbusse, die von Arabern gefahren werden und die Clubs sind geöffnet.

Umso länger ich hier bin, umso mehr Schichten zeigen sich mir auf.  Es gibt jüdische Zionisten (Verfechter des Staates Israel), jüdische Haridim (extrem Gläubige, manchmal sogar gegen einen Israelischen Staat), jüdische Agnostiker/Atheisten, jüdische Traditionsverfolger, jüdische Anarchist*innen, Kapitalist*innen, Kommunist*innen, Patriarchist*innen, usw. Und natürlich bringt jede Familie ihre eigenen Bräuche mit, je nachdem, woher sie ursprünglich kommen. Hummus und Falafel (urspruenglisch aus arabsichen Staaten des Mittleren Osten), so wie auch die “Hand der Fatima” oder eben hier “Hamsa” genannt, werden die neuen Symbole Israels. Sogar Brezn gibt es zu kaufen.

Trotz dieses Patchwork-Konstrukts spüre ich einen Zusammenhalt, die Menschen teilen etwas in ihrem Verhalten. Sie wirken neugierig und offen für neue Einflüsse bei dieser Suche nach dem Eigenen, Einzigartigen. Es kann weh tun, zu sehen, wie sie sich das kulturelle Erbe anderer zu eigen machen und ich verstehe die Kritik daran. Aber wenn ich durch die Straßen laufe, fühle ich mich irgendwie zuhause… Ich mag dieses zusammengewürfelte chaotische Etwas.

Zakén im Zakán

Die meiste Zeit verbringe ich mit Henk, dem „alten Mann mit Bart“, wie er sich selber schmunzelnd nennt während er seinen Rotbart krault. Mit seinen 40 Jahren ist er gar nicht so alt, doch seine Glieder sind schwer und sein Rücken tut weh. Er ist eine ganz besondere Person für mich, wie ein persönliches Radio, dessem Sender ich so gerne zuhöre. Heute begleitet er mich zur Arbeit und während ich Bäume zuschneide singt er mir Lieder vor. Wir reden über das Leben im Einklang mit der Natur, über Aktivismus, über Wut und Freude, über (Selbst-)Liebe und Witz. Henk übersetzt mir die Liedtexte und erklärt mir Zusammenhänge von Wörtern, ihre Hochzeiten in der Geschichte und ihre implizierte Bedeutung. Mit ihm beginne ich so richtig hebräisch zu lernen. Hamoré ahi tov baolam! Der beste Lehrer der Welt! Aber warum?

Die meisten Israelis, die ich kennengelernt habe, sind nicht sehr geduldig. Sie sind schnell, viel beschäftigt und warten ungern darauf, bis ich in unendlich langsamen Tempo meinen Satz zu Ende formuliert habe. Während ich rede, fangen sie meistens schon an, das nächste Thema anzureißen, beenden meinen Satz oder schweifen mit den Gedanken ab. Obwohl ich bewundert werde für mein Sprachtalent und den Spitznamen „Wortmaschiene“ bekommen habe, reden sie weiter auf englisch. Nur Henk nimmt sich wirklich Zeit. Er erzählt von dem Ursprung des Wortes und in welchem Kontext es benutzt wird. Er lässt mich ausreden, beantwortet meine Fragen prezise und sorgfältig und nutzt sie als Inspiration um mir allerlei Dinge zu erzählen, die mich, ihn oder irgendwen interessieren könnten. So kommen wir auf das Wort Pionier zu sprechen. Erst, als ich erfahre, dass es stark assozitiert wird mit denjenigen, die sich auf Feldern im jetzigen israelsichen Gebiet niedergelassen haben, verstehe ich seine Alltagsrelevanz. Als ich vor ein paar Monaten in Enschde online Vokabeln gelernt habe, habe ich genervt auf „weiter“ geklickt, als Wörter wie Rakete und Wächter vorkamen. Ich wusste nicht, wie viel ich sie noch nutzen würde.

Henk führt fort mit dem Ursprung des Wortes Revolution, welcher mahapech – upside-down ist. Als Binyamin Nitanyahu seine Präsidentschaft anging, wurde das Wort mahapech eingeführt – Umkehrung eingeführt um den radikalen Wandel von einer moderat linken Regierung zu einer nationalistischen Mehrheit zu beschreiben. A pro pro, in 2 Wochen sind Wahlen.
Seinen Geschichten ist zu entnehmen, dass er
eine Zeit lang öffentlich politisch aktiv war und er bringt mir einen Slogen bei, den sie bei Demonstrationen immer gerufen haben: Jehuvim vearavim mesarvim lehiot ohivim.” Jews and arabs refuse to be enemies. So langsam, wie ich das nochsage, würde mir sicher niemand zuhören auf der Demo, aber ich bin froh für die Inhalte, die er für mciha uswählt. Noch dazu erfahre ich, dass Oivei –Feind von dem jiddischen Ausdruck Oiveivoi kommt, was wir im Deutschen als Owei kennen. Wie soll Ich da denn keine Freude am Sprachen lernen bekommen?

Ich freue mich sehr über diesen warmen Kontakt mit Henk, er fühlt sich ehrlich an und als ob wir es beide genießen. Er ist wie ein Bruder für mich. Wir singen zusammen im Mondlicht (Or jareach) und spielen für- und miteinander. Zwischendrin frage ich nach Wörtern, die mir im Kopf herumkreisen. Das Sprache lernen hält mich den ganzen Tag wach, und nicht immer fällt es mir leicht beim Schlafen den Lernprozess zu drosseln.

Aber immerhin. Langsam fängt die Sprache an, greifbar zu werden. Ich verstehe die Logik dahinter und inwiefern sich die Wörter verändern bei verschiedenen Funktion im Satz. Aber ganz ehrlich, es ist immer noch Chaos. Alle Wörter klingen gleich. Das Alphabet hat nur 22 Buchstaben, wovon einige sich klanglich nicht oder nur kaum unterscheiden, da seit dem Neuaufleben der Sprache und ihrer Alltagsnutzung die arabischen Einflüsse in der Aussprache für diese Buchstaben in Vergessenheit geraten sind.

Die zwei Wörter, das ich glaube ich am meisten gehört habe, sind: Rote Ameisen. Wir haben ein kleines Lied darüber geschrieben: nimalim adumot al hamichnasaim scheli. Rote Ameisen auf meiner Hose. Sie sind überall und sie brennen wie Hölle. Egal wo du sitzt, nach ein paar Sekunden beginnt es zu schmerzen auf der Haut. Ich würde so gerne draußen schlafen, aber auch das ist von Feuer geprägt. Also eben doch die mit Klimaanlage belüfteten Räume. Ich hätte nie gedacht, dass ich Klimaanlagen so schätzen lernen würde. Die Hitze im Sommer kann einem echt den Kopf verdrehen. Wenn die Sonne hoch steht, wird plötzlich alles traurig, schwer und müde. Die Motivation ist weg, der Kopf leer.
Das Einzige was hilft ist Wasser. Nach dem Eintauchen und Abkühlen ist die Welt eine andere. Mein amerikanischer Gefährte kannte das Geheimnis nicht und lag ständig mit Kopfschmerzen im Bett.
Als er meinen Tipp ausprobierte, war er mehr als überzeugt. Es ist interessant, mit was für Dingen wir uns auseinander setzen, wenn wir mit solchen Extremen zu tun haben. Ich fange an, sehr bewusst auf mich selber zu hören. Was brauche ich gerade? Essen, Schlaf, Bewegung, Abkühlung? Erst das Grundbedürfnis erfüllen. Dann darf ich etwas „Sinnvolles“ tun. Ich merke, wie ich ein besseres Gespür dafür entwickele, was ich brauche. Seit Wochen bin ich ziemlich glücklich und zufrieden.

 

Letztens wurde ich kurz völlig aus der Bahn geworfen von der ersten Frau, die ihre Bisexualität offen mir gegenüber gezeigt hat, seit ich hier bin. Aber irgendwie habe ich schnell gemerkt, was gerade passiert und konnte mir das holen, was ich brauchte um mich zu beruhigen.

Es ist schön, mich selber zu beobachten, wie ich imer klarer in meinem Bewusstsein und in meinen Bedürfnissen werde und dementsprechend handeln kann. Ich spüre mehr Vertrauen für meine eigenen Ressourcen und Fähigkeiten und verurteile mich weniger für die Dinge, die mir manchmal im Weg zu stehen scheinen. Klar gibt es Momente, in denen ich mich nicht ausbalanciert fühle, doch sie wirken weniger überfordernd und einschnittig. Wie ein Pendel fühl ich mich, das die Extreme zwar kennt, aber nicht mehr so lange dort verweilt und alles nicht ganz so ernst nimmt. Das Leben ist ein Spiel, zitiert Mama immer wieder.

Noch ein kleiner Augenschmaus.

Weiterziehen

Das ist wohl das, was eine Reisende ausmacht. Oder eine Suchende. Je nachdem. Mein neues Zimmer teile ich mit einem US-Amerikanischen Freiwilligen geteilt. Er ist losgezogen um herauszufinden, was ihm wirklich Freude bereitet anstatt stumpf das weiterzumachen, wovon er weiß, dass er es kann. Doch jetzt sieht er müde aus, vom kommen und gehen, begrüßen, kennenlernen, verabschieden und immer wieder von Neuem anfangen.

Ab dem ersten Moment prankt AMI auf seiner Stirn. Seine übertriebene Aufgeschlossenheit nervt mich schon bevor ich davon überhaupt genug mitbekommen habe. In dem Moment, in dem das wahrnehme, entscheide ich mich, ihn mit offenen Augen anzusehen und zu versuchen, hinter die trennende Schicht zwischen uns zu schauen. Er erzählt von seiner schönsten Kindheitserinnerung, wo er sich mit seinem Bruder mit Schlamm beschmeist und eine Riesensauerei macht. Er fragt nach einer Umarmung und bedankt sich für unsere Begegnung. Langsam wird der Blick frei auf einen Menschen so wie ich es bin. Reisend, auf der Suche.

Ich bin in Ramot. Ein Ort am Gallilee Sea. Jeden Morgen um 6 geht’s los zum Mango-Bäume beschneiden. Der Landwirt kennt seine Bäume in und auswendig und er beobachtet von Jahr zu Jahr, wie sie sich verändern, was ihnen gut tut, was nicht… Endlich verstehe ich, warum Baumschnitt betrieben wird und die Äste nicht einfach wild vor sich hin wachsen; zumindest wenn man große Massen verkaufen will. Einige Zweige werden abgeschnitten, um die Kraft und Energie auf andere zu konzentrieren. Wenn zu viele Wachstumsmöglichkeiten da sind, dann bekommen die einzelnen Enden nicht genug Energie aus dem Baum und nicht genug Licht und bilden keine Früchte aus oder nur sehr kleine. Zentriertes Denken, irgendwie ähnlich wie unsere Gesellschaft heutzutage funktioniert… Spazialisten über Spezialisten.

Ganz im Gegensatz zu der Familie des Landwirts, bei der ich unterkomme. Sie leben sehr nah zur Natur und kennen sich mit verschiedensten Dingen aus, die zur Selbstversorgung beitragen. Manchmal kommen sie mir gar dogmatisch vor, und wenn ich mir erlauben darf zu urteilen hat sich wohl daher ihr Traum, eine Community zu bilden, noch nicht verwirklicht. Die Kinder der Familie gehen nicht zur Schule, sondern bekommen zuhause das beigebracht, was sie neugierig macht. Wenn sie doch irgendwann in die Schule gehen möchten, dürfen sie das selber entscheiden. Bis dahin sollen sie lernen, was sie gerade lernen wollen und das tun, mit dem sie sich beschäftigen möchten. Und sei es, dass sie dann viel vor dem PC sitzen oder eben wie heute zusammen mit Mama Gnocci machen und bei ner Poolparty-Spritzaktion den ganzen Bereich vor dem Haus unter Wasser setzen. Sie sind so viel Kind, wie mensch Kind nur sein kann.

Mal wieder ist es eine Argentinierin, die hier wohnt. Sie hat jedoch wenig mit den Argentinier gemein, die ich kennengelernt habe, als ich dort gelebt habe. Sie isst alles roh und nur vegan und alle genutzten Produkte sind selber hergestellt oder zumindest von natürlichen Herstellern. Als ich dort war, war das kurz vor dem Glyphosphat Skandal und ich hatte zwei mal pro Tag ein Stück Fleisch auf meinem Teller.

Wenn ich mich umschaue, dann hat die Familie aber grundsätzlich wohl eine sehr gegenstätzliche Einstellung zum Leben, als alle anderen hier in der Umgebung. Ihre Mango Plantage liegt etwas abseits von den anderen. Diese haben schon vor zwei Monaten die Mangos geernet, alle noch grün und in einem Rutsch. Das Problem ist, dass die Mangos beim Trennen vom Ast, einen brennenden weißen Saft ausstoßen und dieser wird umso weniger, umso reifer sie sind beim Moment des Pflückens. Also haben enorm viele der angemieteten ArbeiterInnen auf den anderen Farmen allergische Reaktionen am ganzen Körper gezeigt. Bei uns gab es keine. Wir gehen jeden Tag auf’s Neue über die Plantage und schauen, ob fast reife Mangos dabei sind. Also sind wir erst vor ein paar Tagen fertig geworden mit dem Pflücken. Während wir also mit dem Baumschnitt beschäftigt sind, wird ein paar Hundert Meter weiter ein völlig verrücktes Spiel durchgeführt, was anscheinend den Ursprung fast all unseres Obstes beschreibt: Veredelung. Der starke Stamm mit tiefen Wurzeln (zum Beispiel eine Sorte, die wenig Wasser braucht) wir von seinen Ästen komplett befreit und in die Schnittstellen werden neue Äste einer anderen Sorte (zum Beispiel mit großen süßen Früchten) eingepflanzt. Nach dem Motto, best of both worlds. Es schaut so irreal aus. Die Enden sind mit Alufolie umkleidet und der Stamm weiß angemalt, damit er nicht austrocknet.

Was mich wohl am meisten glücklich macht: Es gibt Komposttoiletten! Sie sind mir ein solches Vergnügen! Ich fühl mich sauber nach dem Klogang und nicht ganz so sehr wie ein Fremdling auf Erden. Ich muss meine Reste nicht wegspülen in ein System von Kläranlagen, sondern decke sie mit Sägespäne ab und lasse sie wieder Teil der Erde werden. Es tut gut zu sehen, was alles möglich ist und es ist deutlich, wie viel Herzblut und Überzeugung dahinter steht. Ich wünsche mir, ihre Werte wären mehr Normalität und ihr kleines Paradies müsste nicht so wehement verteidigt werden. Denn manchmal spüre ich einen Dogmatimus hindurch, der abschreckt und mich nicht wundern lässt, dass sie noch niemanden gefunden haben, der Teil ihrer Kommune werden will…